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Mary Martini

Adeba-Reporter
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Blogbeiträge von Mary Martini

  1. Mary Martini
    ***
    Dies ist der unwissenschaftliche und unprofessionelle Erlebnisbericht einer Mama, die sich nach der Geburt ihres Kindes in einer Situation wiederfand, auf die sie nicht vorbereitet gewesen war.


    Kennt ihr die Dreierregel bei Schreikindern? Wenn dein Kind über drei Wochen an drei Tagen in der Woche drei Stunden schreit, dann hast du ein Schreikind. Ich persönlich gebe auf diese Definition nicht viel. Wenn dein Kind an zweieinhalb Tagen in der Woche für vier Stunden schreit oder in dreieinhalb Wochen an dreifünfzwölftel Tagen und du nicht weißt, wieso, weshalb, warum, dann hast du ein Problem, Regeln hin oder her. Wenn dein Baby brüllt, obwohl es satt ist, obwohl es eine frische Windel hat, obwohl es abgöttisch geliebt wird, obwohl ihm weder zu kalt noch zu warm ist; wenn dein Baby so laut brüllt, dass sein kleines Köpfchen aussieht wie eine dicke rote Tomate, seine Stimme nur noch ein heiseres Winseln ist und du nicht weißt, ob du darüber lachen oder weinen willst (ich habe beides getan, gleichzeitig), dann hast du ein Riesenproblem.
    Ich nenne dieses Problem "Schreibaby", weil es gemeinhin so bekannt ist und jeder, der diesen Begriff liest, etwas damit anfangen kann. Dennoch bleibt es für mich ein Mysterium, dieses Schreibaby. Und die so wichtige Frage (auf die es tausend und keine Antwort zu geben scheint) lautet: WARUM. (oder von Zeit zu Zeit auch: Warum in Dreiteufelsnamen wir???)

    Ist mein Kind so ein Schreihals, weil unser geliebtes Katerchen in den Anfängen meiner Schwangerschaft einen vollkommen unerwarteten Unfall in unserem Wohnzimmer hatte, der ihm einen beidseitigen Lungenriss beschert hat, an dem er noch am selben Tag gestorben ist?
    Ist mein Kind so, weil Papa die Mama über Monate hinweg angeflunkert hat, dass er nicht mehr rauchen würde, während alle außer Mama wussten, dass das nicht stimmt, und als Mama es erfuhr, sie schwangerschaftshormongeplagt und enttäuscht mit dem nächstbesten Reisebus zu ihrer besten Freundin ins Nachbarland floh?
    Vielleicht ist es auch so, weil ich zu viele Burger in der Schwangerschaft gefuttert hab (wer weiß das schon? Die alles zerstörende Macht der Cheeseburger ist sicher lange noch nicht hinreichend erforscht)?
    Es könnte natürlich auch an der schweren Geburt liegen, während der wir von einer Hebamme begleitet wurden, die meiner bescheidenen Meinung nach ihren Beruf verfehlt hat, und die letztlich nach Geburtsstillstand in einem Kaiserschnitt endete.
    Oder an den wochenlang andauernden Komplikationen danach, in der Mama ihr Baby nicht mal wickeln konnte geschweige denn für sich selbst sorgen konnte, weil sie vor Schmerzen nicht wusste, wohin. Zu viele Tränen, die geflossen sind und die Baby irgendwie loswerden, hinausschreien, musste?

    Warum ein Baby zum Schreibaby wird, ist bis heute nicht hinreichend geklärt. Es kann so viele Gründe geben, und wenn sich einige dieser Gründe zusammenrotten, hat man den Salat. Wahrscheinlich war das auch in unserem Fall so. Bisher hat mir noch niemand eine befriedigende Antwort auf mein "Warum" geben können und wer weiß - vielleicht werde ich diese auch niemals bekommen. Fest steht, dass wir seit sieben Monaten, nämlich seitdem unser kleiner brüllender Rabauke Linus das Licht der Welt erblickt hat, irgendwie damit zurechtkommen müssen. Ich weiß, so wie uns geht es vielen anderen da draußen (auch wenn man das immer nicht so recht glauben mag und sich wahnsinnig allein fühlt, bevorzugterweise in dunklen Nächten, in denen man todmüde sein gepucktes, brüllendes Kind durchs Schlafzimmer trägt und sich fragt, wann die Nachbarn wohl das Jugendamt informieren). Deshalb habe ich diesen Blog eröffnet. Ich habe kein Heilmittel gegen Schreibaby-ismus. Ich kann (und werde) erzählen, was wir versucht haben, um Linus zu helfen. Und wenn ich das hier schreibe, fühle ich mich vielleicht auch nicht mehr so alleine ...

    In allererster Linie möchte ich dieses(n?) Blog ins Leben rufen, um über unsere Fortschritte zu berichten. Seit gestern bekommen wir Hilfe von der Schreiambulanz, und ich weiß zwar noch nicht, wo diese Reise hingeht, setze aber große Hoffnungen hinein. Denn wenn das jetzt nichts bringt, fürchte ich, bleibt uns nichts anderes mehr. Und dann werde ich vielleicht doch noch irre.

    (Vielleicht bin ich es auch schon, aber alle Welt versichert mir, dass ich mich wacker schlage, und ich bin geneigt, dem Glauben zu schenken. Ich habe ja das allerwichtigste in mir: Die abgöttische Liebe zu meinem brüllenden Rabauken.)
  2. Mary Martini
    Gestern Abend war es dann soweit. Papa und ich hatten ausgemacht (nein, eher hatte ich knallhart beschlossen und mich nicht davon abbringen lassen, auch nicht durch Papas Angst, dass er es nicht schaffen würde alleine), dass ich die Nacht im Wohnzimmer verbringen würde. Vielleicht würde mir der zusätzliche Schlaf, den ich hoffentlich dadurch abgreifen würde, den so nötigen Energiekick geben. Natürlich versicherte ich, dass ich, würde Linus nachts zu hysterisch werden, auf jeden Fall kommen und helfen würde.

    Meine Matratze lag einladend auf dem Boden, um halb elf hatte ich Linus noch einmal gestillt und der ersten erholsamen Nacht nach nunmehr über einem Jahr stand nichts im Weg.

    Um kurz vor halb zwölf fing Linus plötzlich an zu schreien. Ich hatte gerade das Buch zugeklappt und mich hingelegt. Während ich auf die Uhr sah, nahm ich mir vor, fünf Minuten abzuwarten, ob Papa es allein schaffen würde.
    Das klingt doch ganz vernünftig, oder? Und fünf Minuten sind ja auch nicht die Welt, die vergehen im Nu!
    Linus schrie immer kläglicher und keine halbe Minute später stand ich im Schlafzimmer ... Ich war vollkommen aufgelöst, mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich hatte, glaube ich, eine Art Panikattacke. Ich sagte, ich könnte das nicht, und legte mich zu Linus, um ihn zu stillen. Und während ich das tat, wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich gefangen bin. Das sagte ich auch. Ich bin gefangen. Es liegt nicht nur an Linus. Es liegt auch an mir. Ich kann mein Baby nicht allein lassen und ich kann es nicht ertragen, ihn schreien zu lassen und nichts zu tun.
    (Ich wäre eine grottenschlechte Kandidatin fürs Ferbern; zum Glück sind Papa und ich uns da einig, dass dieser Weg nie etwas für uns wäre.)
    Und dann fing ich aus dem Nichts heraus zu heulen an. Und konnte gar nicht mehr aufhören. Weil mir klar wurde, dass diese Nächte so weitergehen werden und ich da irgendwie durch muss, ob ich will oder nicht.
    Linus wurde beim Stillen natürlich sofort ruhig, durch mein hysterisches Geheule konnte er aber nicht sofort wieder einschlafen und auch die Nacht war die unruhigste seit Langem (was aber auch daran lag, dass er seine erste Erkältung ausbrütet).
    Papa hat mich in den Arm genommen und getröstet, und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich wieder beruhigen konnte ... ich weiß nicht, wo das plötzlich herkam, aber es hat mir ziemliche Angst gemacht, vor allem, weil ich einfach nicht aufhören konnte, auf diese Art zu weinen.
    Ich sagte dann, dass ich wieder zurückkommen wolle und Papa holte meine Matratze aus dem Wohnzimmer und brachte die andere Matratze raus und als wir zusammen lagen, Linus (zwar unruhig) eingeschlafen war und ich mich beruhigt hatte, war ich sehr froh, wieder bei meinen Lieben zu sein.

    Und was habe ich aus der Aktion gelernt?
    Ich bin wohl auch zum Teil selbst Schuld an meiner Situation. Theoretisch wäre es ein Leichtes gewesen, ein paar Minuten abzuwarten, und vielleicht wäre Linus auch ohne mich wieder eingeschlafen, man weiß es nicht. Aber meine Sehnsucht? mein Gewissen? meine Schwäche? waren stärker als ich und das heißt, ich muss mir etwas anderes einfallen lassen.

    Ich muss zu meiner Überraschung sagen, dass es mir heute trotz Müdigkeit und der letzten Nacht ganz gut ging. Ich bin mit dem, was ich zu tun habe, gut vorangekommen und irgendwie nicht mehr so deprimiert wie sonst manchmal.
    Ich schätze, das Heulen hat mir gutgetan.
  3. Mary Martini
    ***
    Ich wurde gebeten, ein bisschen über unsere Tage zu erzählen. Nun denn.


    Linus ist schon immer ein sehr intensives Kind gewesen. Im Gegensatz zu den ersten drei Monaten, in denen er das "typische" Schreibaby war - also täglich über einen Zeitraum von mehreren Stunden gebrüllt hat, meistens ab dem Nachmittag bis in die Nacht hinein - und er 24 Stunden Körperkontakt brauchte (ablegen ging selten bis gar nicht), haben sich die Schwierigkeiten inzwischen jedoch zum Großteil auf die Einschlafmomente tagsüber und vor allem in der Nacht verlagert.

    Das große Problem, das Linus hat, ist, dass er nicht abschalten kann. Alles, was er tut, geschieht mit einer Hingabe, die ich selten erlebt habe. Linus ist immer in Action. (Das halte ich auch für ganz normal; Babys sind Forscher und wenn es anders wäre, würde ich mir Sorgen machen.) Er braucht ununterbrochen Beschäftigung und ist wahnsinnig ungeduldig. Sitzen kann er beispielsweise gar nicht leiden. Er hält es höchstens zehn Minuten auf dem Schoß eines anderen oder im Maxi Cosi (beispielsweise beim Essen) aus, dann fängt er an, sich zu überstrecken und zu schimpfen. Wenn man dann nicht sofort mit ihm aufsteht und ihn trägt, steigert sich sein Unbehagen bis hin zu einer Schreiattacke, und das innerhalb weniger Momente.
    Über einen längeren Zeitraum zufrieden und glücklich mit sich und der Welt ist er eigentlich nie. Ich kann nur spekulieren, woran es liegt. Er fängt sehr schnell an zu meckern und kann es sehr ausdauernd, wenn ihm eine Situation nicht gefällt. Ich glaube, zu einem großen Teil liegt es daran, dass er selten richtig ausgeschlafen ist. (Die Nächte sind immer unruhig, selbst wenn er schläft, wälzt er sich oft hin und her, jammert und wimmert im Schlaf, dreht sich von einer Seite zur anderen und wieder zurück ...) Es ist sehr schwierig, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, in dem man ihn hinlegen kann. Wenn man es zu früh versucht, schreit er schon, wenn man nur ins Schlafzimmer mit ihm geht. Hinlegen bringt dann gar nichts, weil er sich so in Rage schreit, dass an Schlaf nicht zu denken ist.
    Wartet man zu lange (die Frage hier ist - was ist zu lange?), dreht er so sehr auf, dass es genauso schwer ist, ihn wieder runter zu bringen.
    Und dazwischen quengelt er. Er zeigt ganz deutlich, dass er müde ist - reibt sich ständig die Augen, kann sich nicht mehr konzentrieren, isst kaum (wenn die Müdigkeit zur Mittags- oder Abendbreizeit zuschlägt) und hält nicht still. Aber das kann er sowieso nicht sehr gut. Linus wuselt ständig hin und her, der Kopf dreht sich, er muss alles sehen und alles gleichzeitig, er turnt herum und ist schwerer zu hüten als ein Flohsack.

    Vieles von dem, was ich geschildert habe, trifft auch auf andere Kinder zu. Was Linus unterscheidet, ist wohl seine niedrige Toleranzschwelle. Schreikinder haben Probleme mit der Selbstregulation (brauchen deshalb unter anderem auch eine klare Tagesstruktur, an der wir derzeit arbeiten - soweit es möglich ist). Er ist immer 120% da, manchmal ist das zu viel, das Leben überfordert ihn dann.

    Ich habe noch keine Strategie gefunden, ihm beim Abschalten zu helfen. Natürlich machen wir das, was geraten wird - vor dem Schlafengehen wird nicht mehr wild herumgetobt. Linus wird nicht vor dem Fernseher geparkt. Er wird nicht mit Spielzeug überfordert (aber muss sich auch nicht langweilen). Dann der Rhythmus, den wir versuchen, einzuhalten. Zum Beispiel Mittags- und Abendbreizeiten. Ich versuche auch gerade, das Stillen zumindest ein bisschen zu regulieren. Wenn der Hunger ganz schlimm ist, bekommt Linus natürlich die Brust. Aber wenn er es aushalten kann, strecke ich die Stillzeiten ein wenig. Ich halte das langsam für sinnvoller als ein Stillen ausschließlich nach Bedarf.

    Vielleicht noch ein paar Beispiele aus unserem Leben mit dem Wildfang:

    Wir essen in der Regel zwischen halb fünf und halb sieben. Regelmäßig zum Essen wird Linus unruhig (egal, wie spät es ist). Während wir essen, sitzt er bei uns in der Essecke im Maxi Cosi. Dort hält er es allerdings nicht lange aus. Nach ein paar Minuten überstreckt er sich und schreit so laut, dass er zu Papa auf den Schoß kommt, damit wir weiteressen können.
    Warum es immer zum Essen ist, weiß ich nicht. Ich habe mal gehört, dass viele Kinder da unruhig werden, weil sie am Familienleben teilhaben wollen. Da er direkt neben mir sitzt und ich mich viel mit ihm unterhalte, während wir essen, leuchtet mir das aber nicht sehr ein.
    Vielleicht mag er den Maxi Cosi auch einfach nicht?

    Am liebsten würde Linus den ganzen Tag getragen werden. Das war schon immer so. Auf dem Arm von jemandem zu sein, reicht ihm dabei nicht. Es muss Bewegung mit ihm Spiel sein oder derjenige, der Linus auf dem Arm hält, muss zumindest stehen. Man kann nur selten mit ihm sitzen. Selbst stehen ist auch ein unbedingtes Muss, obwohl er das ja noch gar nicht soll. Er ist aber nicht davon abzuhalten, es muss einfach sein.
    In letzter Zeit findet er es allerdings auch toll, auf dem Boden herumzukrauchen (was auch erst seit einigen Wochen geht - davor hat er regelmäßig angefangen zu brüllen). Er robbt schon fantastisch und das Krabbeln lässt wohl nicht mehr lange auf sich warten. Ich habe ja die Hoffnung, dass er mit wachsender Mobilität zufriedener wird.

    Je müder er wird, desto interessanter wird die Welt um ihn herum, aber desto kürzer können Dinge ihn nur noch fesseln. Er wehrt sich immer sehr stark gegen die Müdigkeit, kann sie aus irgendeinem Grund nicht zulassen. Nur, was macht man mit einem übermüdeten, quengelnden Kind, das partout nicht schlafen mag?

    Und um noch ein paar schönere Beispiele zu nennen: Linus liebt es zu lachen. Wenn man Quatsch mit ihm macht, ihn erschreckt oder Kuckuck spielt, einfach mit ihm herumalbert, kriegt er sich gar nicht mehr ein. Er ist wahnsinnig leicht zu begeistern und hat einen fantastischen Humor. Inzwischen versucht er sogar ganz bewusst, auch uns zum Lachen zu bringen.
    Linus ist sehr ehrgeizig. Wenn er etwas haben will, versucht er es so lange, bis er es erreicht. Aufgeben kommt nicht in Frage (auch wenn es vor temporärem Frust ziemlich laut zugehen kann).
    Linus ist ein sehr kuschliges und nähebedürftiges Kind, das uns tagtäglich ganz deutlich seine Liebe zeigt. Er ist total kommunikativ und fordert die Aufmerksamkeit, die er braucht, vehement ein.

    Es wäre ein Erfolgserlebnis für uns, wenn wir diese Intensivität besser kanalisieren und ihn auffangen könnten, ehe es zu viel für ihn wird.
    Aber geht das überhaupt oder ist es dafür noch zu früh ...?
  4. Mary Martini
    ***
    Ausheul-Eintrag. Bitte nicht lesen, wenn allergisch dagegen.


    Ich ertrinke. Über meinem Kopf schlagen mächtige Wellen zusammen und lassen mich nicht hinaus, wie sehr ich mich auch bemühe. Ich bekomme keine Luft. Ich ertrinke.

    Gott, das klingt so erbärmlich.

    Die letzten Tage und Nächte - weniger die Tage, mehr die Nächte - haben mir gezeigt, dass die "Therapie" bisher nichts gebracht hat, niente, nada. Nichts. Es war immer so: Gute Tage wechselten sich mit schlechten ab; ein Sonne-Wolken-Mix, mal mehr Sonne, mal mehr Wolken und zwischendrin ein fetter Hagelschauer. Es ist noch genauso, auch mit Therapie. Und ich hasse es, so zu denken, aber was soll sich auch bitte groß ändern? Linus wird einmal die Woche für ein paar Minuten massiert, Mama oder Papa auch. Und Reden tut auch gut, aber Wunder bewirkt Reden auch nicht! Ich glaube, das einzige, was uns noch hilft, ist die Zeit. Wenn der Junge größer ist, sprechen kann, mehr mitbekommt, mehr versteht und ... ich glaube nicht, dass sich in den kommenden Monaten etwas ändern wird. Ja ja. Ich kann es nicht wissen. Er könnte nächsten Monat schon schlafen, ohne zu schreien.
    Oder er bleibt so, bis er vier ist.
    Keiner weiß es!

    In den letzten Nächten ist er wieder stündlich aufgewacht. Ich schreibe "stündlich", obwohl ich es nicht weiß, weil ich nicht auf die Uhr schaue und mir, selbst wenn, die Uhrzeiten eh nicht merken kann. Manchmal ist es mehr als jede Stunde, manchmal eineinhalb Stunden. So oder so: Er wacht ständig auf. Und dann brüllt er. Laut. Sehr sehr laut. Er wacht einfach auf! Er hat doch nicht jede Stunde Hunger! Und trotzdem braucht er die Brust, um wieder einschlafen zu können. Gestern Abend brauchte er sie einmal nicht, da hab ich ihn in den Arm genommen und er schlief so wieder ein. Es scheint also zu gehen!! Warum aber geht es in neun von zehn Fällen nicht?!

    Gegen Morgen - es war noch dunkel, wie spät weiß ich nicht - ich war so müde. Ich konnte ihn nicht zum hundersten Mal anlegen. Ich hab mich weggedreht und gebetet, dass Papa es schafft, ihn zum Schlafen zu bringen. Hat er auch - für ein paar Minuten. Dann wachte Linus wieder auf und ich musste doch wieder ran.
    Endgültig wach war er ab ... sechs? Halb sieben? Ich weiß es nicht. Er hat gemeckert, gejammert, aber moderat. Ich hab die Augen nicht aufbekommen.
    Ich hab ihn einfach machen lassen.

    Papa und ich haben heute Morgen eine Achterbahnfahrt hinter uns. Als Linus wieder brüllte (die Nacht war noch nicht genug), hab ich mich so unfähig gefühlt. Wie eine Versagerin. Eine schlechte Mutter. Schatze hielt eine flammende Rede, dass ich es nicht bin und was ich alles für das Kind tue. Er war so lieb. Ich bin so froh, ihn zu haben.
    Keine Viertelstunde später bin ich voll ausgerastet und hab ihn angebrüllt, weil ich die Beutel nicht gefunden hab, wo ich immer Linus' Essen einpacke. Er räumt nämlich nie sofort alles dahin, wo es hingehört, wenn er mit dem Jungen nach Hause kommt und das regt mich so auf.
    Und dann hat es mir so Leid getan, weil er vorher so lieb gewesen war! Also hab ich mich entschuldigt. Und ich wollte eigentlich die ganze Zeit nur, dass die beiden endlich gehen.
    Bevor es dann soweit war, ist mir klar geworden, was ich heute noch alles machen muss.
    Ich muss an meiner Seminararbeit weiterschreiben. Bald ist der Monat zu Ende und ich bekomme nicht noch eine neue Deadline. Meine Dozentin war schon so was von kulant, irgendwann ist Feierabend.
    Aber morgen früh kommt Besuch, Onkel und Tante mit meinen zwei kleinen Cousinen. Deshalb muss ich Toilette und Bad machen, den Flur fegen und wischen, die Wäscheständer abnehmen und alles wegräumen, was kleine Mädchenhände nichts angeht.
    Brot muss ich backen, wir haben nada zu essen hier, ich muss aber essen, damit ich schreiben kann. (Das mag spießig klingen, aber ohne Frühstück geht bei mir gar nichts.)
    Und ich musste selbst ja auch noch aus den Puschen kommen, das ganze Drama und ich noch in Schlafklamotten, so richtig grottig.
    Und Schatze geht heute Nachmittag mit einem Freund was trinken, ich selbst habe ihn dazu genötigt, damit er auch mal wieder rauskommt. Alleine mit Linus, der nachmittags wieder hier sein wird, komm ich aber zu fast gar nichts, das heißt, ich muss alles, was zu tun ist, bis drei erledigt haben.

    (Und was mache ich stattdessen? Ich schreibe Tagebuch! Super.)

    Wenn er nur nicht immer so brüllen würde. Ich ertrage es manchmal nicht mehr. Ich verstehe es nicht. Und inmitten meiner Ohnmacht und Wut tut mir mein armes Kind so Leid. Was soll aus ihm werden, wenn er ständig so unzufrieden und unglücklich ist? Er weint so viel! Das tut mir auch weh!

    Im Moment kommt mir alles wie ein Kampf gegen Windmühlen vor. Oder wie eine Farce. Ich schreibe an dieser blöden Hausarbeit, obwohl ich im Moment gar nicht sehe, dass/wie ich mein Studium zu Ende bringen soll. Aber wenn ich es nicht tue, habe ich nichts, deshalb schreibe ich.
    Es war alles so gut durchgeplant. Wir sind nicht Hals über Kopf und hirnlos an die Sache herangegangen. Es war alles durchgeplant. Wir hatten alles im Griff.
    Und jetzt?

    Ich will, dass die kommende Nacht besser wird und dass es uns morgen besser geht und überhaupt will ich, dass alles endlich besser wird. Alle sagen mir immer, wenn ich mich nach "normal" sehne, dass normal doch langweilig ist.

    Na und??? ICH WILL NORMAL!
  5. Mary Martini
    Als mein Sohn heute Abend friedlich an meiner Brust eingeschlafen war, ganz ohne Weinen und Schreien, lag ich noch eine Weile neben ihm und wurde plötzlich von einem solch überwältigenden Glücksgefühl erfüllt. Seine Händchen hielten meine Hand, sein kleiner, warmer Körper war an mich gekuschelt und ich war einfach nur dankbar, dass dieses wundervolle Wesen in mein Leben getreten ist. Was habe ich doch für ein Glück! Linus ist, wie schwierig es auch oft sein mag, eine Bereicherung für unser Leben. Er komplettiert uns.

    Der Tag war so schön. Linus hatte viel Spaß mit seinen Großcousinen und war den ganzen Tag super drauf. Wir hatten nur morgens einmal Gebrüll und dann nicht mehr. Er war auch kaum meckerig-quakig heute. Er hat so viel gelacht und geplappert und herumgealbert. Er war einfach glücklich. Und mein Mutterherz hat gejubelt.

    Ich möchte versuchen, mir diesen Tag in Erinnerung zu rufen, wenn wieder einer der schwierigen Tage mich herausfordert.
    Lieber Linus, du bist das Beste, was deinem Papa und mir passiert ist. Wir sind so glücklich, dich in unserem Leben zu wissen! Wir werden immer für dich da sein und dich begleiten. Ich hab dich sehr lieb, mein Spatz.
  6. Mary Martini
    ***
    Ausheul-Eintrag. Bitte nicht lesen, wenn allergisch dagegen.


    Ich ertrinke. Über meinem Kopf schlagen mächtige Wellen zusammen und lassen mich nicht hinaus, wie sehr ich mich auch bemühe. Ich bekomme keine Luft. Ich ertrinke.

    Gott, das klingt so erbärmlich.

    Die letzten Tage und Nächte - weniger die Tage, mehr die Nächte - haben mir gezeigt, dass die "Therapie" bisher nichts gebracht hat, niente, nada. Nichts. Es war immer so: Gute Tage wechselten sich mit schlechten ab; ein Sonne-Wolken-Mix, mal mehr Sonne, mal mehr Wolken und zwischendrin ein fetter Hagelschauer. Es ist noch genauso, auch mit Therapie. Und ich hasse es, so zu denken, aber was soll sich auch bitte groß ändern? Linus wird einmal die Woche für ein paar Minuten massiert, Mama oder Papa auch. Und Reden tut auch gut, aber Wunder bewirkt Reden auch nicht! Ich glaube, das einzige, was uns noch hilft, ist die Zeit. Wenn der Junge größer ist, sprechen kann, mehr mitbekommt, mehr versteht und ... ich glaube nicht, dass sich in den kommenden Monaten etwas ändern wird. Ja ja. Ich kann es nicht wissen. Er könnte nächsten Monat schon schlafen, ohne zu schreien.
    Oder er bleibt so, bis er vier ist.
    Keiner weiß es!

    In den letzten Nächten ist er wieder stündlich aufgewacht. Ich schreibe "stündlich", obwohl ich es nicht weiß, weil ich nicht auf die Uhr schaue und mir, selbst wenn, die Uhrzeiten eh nicht merken kann. Manchmal ist es mehr als jede Stunde, manchmal eineinhalb Stunden. So oder so: Er wacht ständig auf. Und dann brüllt er. Laut. Sehr sehr laut. Er wacht einfach auf! Er hat doch nicht jede Stunde Hunger! Und trotzdem braucht er die Brust, um wieder einschlafen zu können. Gestern Abend brauchte er sie einmal nicht, da hab ich ihn in den Arm genommen und er schlief so wieder ein. Es scheint also zu gehen!! Warum aber geht es in neun von zehn Fällen nicht?!

    Gegen Morgen - es war noch dunkel, wie spät weiß ich nicht - ich war so müde. Ich konnte ihn nicht zum hundersten Mal anlegen. Ich hab mich weggedreht und gebetet, dass Papa es schafft, ihn zum Schlafen zu bringen. Hat er auch - für ein paar Minuten. Dann wachte Linus wieder auf und ich musste doch wieder ran.
    Endgültig wach war er ab ... sechs? Halb sieben? Ich weiß es nicht. Er hat gemeckert, gejammert, aber moderat. Ich hab die Augen nicht aufbekommen.
    Ich hab ihn einfach machen lassen.

    Papa und ich haben heute Morgen eine Achterbahnfahrt hinter uns. Als Linus wieder brüllte (die Nacht war noch nicht genug), hab ich mich so unfähig gefühlt. Wie eine Versagerin. Eine schlechte Mutter. Schatze hielt eine flammende Rede, dass ich es nicht bin und was ich alles für das Kind tue. Er war so lieb. Ich bin so froh, ihn zu haben.
    Keine Viertelstunde später bin ich voll ausgerastet und hab ihn angebrüllt, weil ich die Beutel nicht gefunden hab, wo ich immer Linus' Essen einpacke. Er räumt nämlich nie sofort alles dahin, wo es hingehört, wenn er mit dem Jungen nach Hause kommt und das regt mich so auf.
    Und dann hat es mir so Leid getan, weil er vorher so lieb gewesen war! Also hab ich mich entschuldigt. Und ich wollte eigentlich die ganze Zeit nur, dass die beiden endlich gehen.
    Bevor es dann soweit war, ist mir klar geworden, was ich heute noch alles machen muss.
    Ich muss an meiner Seminararbeit weiterschreiben. Bald ist der Monat zu Ende und ich bekomme nicht noch eine neue Deadline. Meine Dozentin war schon so was von kulant, irgendwann ist Feierabend.
    Aber morgen früh kommt Besuch, Onkel und Tante mit meinen zwei kleinen Cousinen. Deshalb muss ich Toilette und Bad machen, den Flur fegen und wischen, die Wäscheständer abnehmen und alles wegräumen, was kleine Mädchenhände nichts angeht.
    Brot muss ich backen, wir haben nada zu essen hier, ich muss aber essen, damit ich schreiben kann. (Das mag spießig klingen, aber ohne Frühstück geht bei mir gar nichts.)
    Und ich musste selbst ja auch noch aus den Puschen kommen, das ganze Drama und ich noch in Schlafklamotten, so richtig grottig.
    Und Schatze geht heute Nachmittag mit einem Freund was trinken, ich selbst habe ihn dazu genötigt, damit er auch mal wieder rauskommt. Alleine mit Linus, der nachmittags wieder hier sein wird, komm ich aber zu fast gar nichts, das heißt, ich muss alles, was zu tun ist, bis drei erledigt haben.

    (Und was mache ich stattdessen? Ich schreibe Tagebuch! Super.)

    Wenn er nur nicht immer so brüllen würde. Ich ertrage es manchmal nicht mehr. Ich verstehe es nicht. Und inmitten meiner Ohnmacht und Wut tut mir mein armes Kind so Leid. Was soll aus ihm werden, wenn er ständig so unzufrieden und unglücklich ist? Er weint so viel! Das tut mir auch weh!

    Im Moment kommt mir alles wie ein Kampf gegen Windmühlen vor. Oder wie eine Farce. Ich schreibe an dieser blöden Hausarbeit, obwohl ich im Moment gar nicht sehe, dass/wie ich mein Studium zu Ende bringen soll. Aber wenn ich es nicht tue, habe ich nichts, deshalb schreibe ich.
    Es war alles so gut durchgeplant. Wir sind nicht Hals über Kopf und hirnlos an die Sache herangegangen. Es war alles durchgeplant. Wir hatten alles im Griff.
    Und jetzt?

    Ich will, dass die kommende Nacht besser wird und dass es uns morgen besser geht und überhaupt will ich, dass alles endlich besser wird. Alle sagen mir immer, wenn ich mich nach "normal" sehne, dass normal doch langweilig ist.

    Na und??? ICH WILL NORMAL!
  7. Mary Martini
    ***
    Zweiter und dritter Hausbesuch


    Katja war inzwischen noch zwei Mal da und langsam kristallisiert sich heraus, dass es sich wirklich um eine Art Gesprächstherapie mit Entspannungsmassagen handelt. Das klingt zunächst wirklich nach nicht viel. Aber allein das Wissen, dass da jemand ist, der deine Probleme nachvollziehen kann und dir geduldig zuhört, hilft schon sehr.
    Linus ist Katja gegenüber schon offener geworden und ließ sich beim letzten Mal sogar auf den Schoß nehmen und seine Massage bekam er auch.
    Papa war auch an der Reihe und es hat ihm sehr gutgetan. Und wenn es meinen beiden Männern gutgeht, geht es mir auch gut.

    Katja erzählt vieles, was ich schon wusste oder irgendwann mal gelesen/gehört habe, aber es zu wiederholen und darüber zu diskutieren, vertieft dieses Wissen noch einmal und hilft, es besser zu verinnerlichen. Zum Beispiel, dass Babys nun mal keine andere Möglichkeit haben, sich bemerkbar zu machen, wenn ihnen etwas ganz und gar nicht behagt. Während wir aussprechen können, was uns nicht gefällt, kann ein Baby nur weinen oder, wenn es ganz schlimm ist, schreien. Ich wusste das natürlich, aber sich das zu verdeutlichen, ändert schon noch mal die Sichtweise darauf.
    Gut, Linus ist sensibel und stört sich an Dingen, die andere Babys kalt lassen würden. Er muss sich also öfter melden, weil ihm öfter etwas nicht gefällt. Aber das ist ja auch sein gutes Recht. Er ist noch so auf unsere Hilfe angewiesen und er darf durchaus verlangen, dass wir, die ihn lieben, ihn in für ihn schlimmen Situationen unterstützen.
    Wenn er das nächste Mal im Kinderwagen schreit, werde ich mehr Verständnis für ihn haben. Ich kann nur erahnen, was ihm dann nicht gefällt, aber ich fühle mich besser, wenn ich es einfach akzeptiere.

    Das gilt für die Probleme beim (Ein-)schlafen allerdings nicht so. Wir haben nach wie vor große Probleme damit und ich weiß einfach nicht, warum er sich so schwer tut. Warum er gegen Müdigkeit so kämpfen muss, einfach nicht loslassen kann. Je müder er ist, desto mehr wird er von allem eingenommen, was um ihn herum ist; alles zieht seine Aufmerksamkeit auf sich, und obwohl er kaum noch die Augen offenhalten kann, muss er es erforschen. Das ist sehr anstrengend für alle Beteiligten. Wir haben in dem Bereich auch noch keine Fortschritte gemacht. Es gibt wenige gute Tage, an denen das Einschlafen prima klappt, aber die meisten Tage sind schlecht und jedes Einschlafprozedere eine Qual. Da hilft das schönste und beruhigendste Ritual nicht (mehr).
    (Ich singe Linus sehr viel vor; bis vor ein paar Wochen konnte ich ihn immer zumindest für kurze Zeit beruhigen - nun hilft auch das nichts mehr ...)

    Manchmal möchte ich alles hinschmeißen, mir die Decke über den Kopf ziehen und ein "Bitte nicht stören"-Schild an mein Leben hängen. Ich bin so müde. Nicht nur körperlich, auch geistig. Manchmal - nicht immer - komme ich mir vom Schicksal ungerecht behandelt vor.
    Dann aber gibt es wieder Tage, an denen ich mit einem positiven Gefühl in die Zukunft blicke. Gestern habe ich hier im Forum massenhaft moralische Unterstützung und viele Tipps bekommen - das hat mich sehr aufgerichtet. Dazu gab es einen schönen Tag und eine Nacht, in der ich nur vier Mal gestillt habe und Linus nur einmal gebrüllt hat. Wenn es solche Nächte nicht gäbe ... aber es gibt sie, ja, tatsächlich. Und eigentlich kann doch die Zeit nur für uns arbeiten? Eines Tages wird Linus in Worte fassen können, was ihn stört. Ich werde ihn besser trösten können und er wird sicher nicht mehr so viel schreien müssen. Ich freu mich so sehr auf diese Zeit ...

    Ich warte ab, wie Katjas weitere Hilfe sich auf unsere Situation auswirken wird - ob es eine grundlegende Verbesserung geben wird oder ob wir doch noch etwas anderes ausprobieren müssen. Und von den Tipps, die ich gestern bekommen habe, werde ich den einen oder anderen mitnehmen, um mir/uns kurzfristig das Leben ein wenig leichter und angenehmer zu machen.
  8. Mary Martini
    Mein Baby brauchte mich heute zum Einschlafen noch mehr als sonst und ich ärgere mich wahnsinnig über mich selbst.
    Linus hat heute Abend insgesamt eineinhalb Stunden gebraucht, um in den Schlaf zu finden. Er war so müde, dass ich, naiv wie ich bin, geglaubt habe, das Einschlafen wäre nach fünf Minuten erledigt. Stattdessen schrie Linus wieder wie von Sinnen - nur dann nicht, wenn er an meiner Brust war.
    Wann immer ich dachte, er sei jetzt soweit, versuchte ich vorsichtig abzudocken. So um die sechs, sieben Mal, und jedes Mal ging es von vorne los: Linus sucht, wenn er die Brust nicht findet, fängt er an zu wimmern und wenn er sie dann immer noch nicht bekommt, schreit er. Irgendwann hat sein Genuckel aber schon richtig wehgetan und ich hatte nicht den Elan, sie ihm noch mal zu geben. Das Ergebnis war, das wir wieder da ankamen, wo wir angefangen hatten, als ich ihn hingelegt habe: Er schrie. Er brüllte.
    Dann löste Papa mich ab und nach harter Arbeit schlief Linus ein - für ungefähr zehn Minuten. Dann brüllte er wieder. Ich legte ihn doch wieder an. Dann schlief er.
    Eine halbe Stunde später weinte er schon wieder. Dieses Mal reichte meine Wärme und Nähe, um ihn wieder zum Schlafen zu bringen. Das ist jetzt eine Viertelstunde her und ich warte darauf, dass er wieder aufwacht.

    Linus' Bedürfnis bin ich. Er braucht mich sehr, mehr als alles andere in der Welt. Ich bin seine Quelle; die Quelle seiner Nahrung, die Quelle, die ihm Liebe gibt, Geborgenheit, Sicherheit. Wärme. Schutz.
    Wenn ich weniger ungeduldig gewesen wäre (Schwiegermutter saß draußen und ich wusste, ich habe nur eine halbe Stunde Zeit, Linus zu Bett zu bringen, weil sie dann gehen wollte) - wenn ich nicht immer wieder versucht hätte, mich von ihm zu lösen - wäre unser beider Abend dann angenehmer verlaufen? Hat Linus gespürt, dass ich mich unter Druck gesetzt habe, besonders schnell mit ihm "fertig zu werden"?
    Und wenn ich gleich zum Schlafen bei ihm geblieben wäre, ohne den Wunsch nach einigen privaten Minuten; einigen Minuten, in denen ich Trivialitäten erledigen kann (wie einen Abstecher ins Internet), einigen Minuten für mich selbst, nachdem ich wieder 12 Stunden beinahe nonstop Mutter und nichts anderes war - wäre sein Nachtschlaf dann ruhiger?
    Ich glaube, ich kann alle Fragen positiv beantworten, und ich schäme mich, denn die ganze Zeit fragt eine leise Stimme tief in mir: Wo bleiben meine Bedürfnisse?
    Darf man als Mama Bedürfnisse haben, die nicht mit dem konform gehen, was das Kind will? Wenn man ein Kind möchte, sollte man wissen, dass sich das eigene Leben unwiderbringlich und zwangsläufig ändert. Sind eigene Bedürfnisse vermessen oder erlaubt? Wenn es etwas gibt, das meinem Kind guttut - in diesem Falle Dauerstillen - und ich gebe es ihm nicht, obwohl ich weiß, dass es ihm ohne dieses schlechter geht als mit, dann stelle ich meine Bedürfnisse über die meines Kindes und ende so wie jetzt - mit schlechtem Gewissen und voller Selbstzweifel.

    Ich glaube, beim nächsten Mal werde ich geduldiger sein als heute. Vielleicht hätte er nicht schreien müssen heute Abend.
  9. Mary Martini
    ***
    Erster Hausbesuch


    Wir haben schon in den ersten drei Monaten immer mal wieder überlegt, uns Rat bei der Schreiambulanz zu suchen. Ich weiß nicht, woran es immer wieder gescheitert ist. Ich glaube, wir haben uns nicht recht getraut; wollten uns die Blöße nicht geben. Andere Eltern kommen doch auch mit ihrem Baby klar - dann sollten wir es auch schaffen. Ich hatte wohl auch ein bisschen Angst, man würde uns nicht ernst nehmen. Eigentlich blöd - sind doch die Leute, die dort arbeiten, genau für Eltern wie uns da.

    Die vergangenen Wochen waren nicht leicht. Linus zum Schlafen zu bringen, ob am Tag oder in der Nacht, war in neun von zehn Fällen eine Tortur für alle drei von uns. Linus schreit wie am Spieß, wenn er hingelegt wird. Er schreit, als würden wir ihm etwas Furchtbares antun, und dieser Kampf zieht sich oft über lange Zeit hin. Ihn einfach nicht hinzulegen, bringt ebensowenig. Wenn er übermüdet ist, wird er - wie jedes Baby - höchst unleidlich. Jeden Tag aufs Neue diese Kämpfe - sie schlauchen wahnsinnig. Man kann ihn nicht ins Bett legen, ohne Angst zu haben, er schreit sich hysterisch. Wenn er so schreit, ist es sehr schwer, ihn wieder runterzuholen. Er zittert am ganzen Körper, sein Kopf ist knallrot, er atmet hektisch und es geht ihm einfach schlecht. Und uns natürlich auch.
    Ich stille noch fast voll und habe seit Linus' Geburt immer zwischen zwölf und vierzehn Mal gestillt. In den letzten Wochen waren es nachts fünf, sechs Mal - oft stündlich, eineinhalbstündlich, seltener zweistündlich. Linus braucht mich zum Einschlafen, wenn er nachts nicht einschlafgestillt wird, schreit er sich ein. Ich stille für mein Leben gern, aber meine Reserven sind erschöpft. Ich weiß, dass ich von meinem Rabauken kein Durchschlafen erwarten kann, aber etwas weniger oft zu stillen, würde mich sehr glücklich machen. Ich würde so gern mal wieder vier oder fünf Stunden am Stück schlafen ... Auch das ist ein Grund, aus dem wir uns letztlich doch an die Schreiambulanz gewandt haben.

    Ich habe eine E-Mail geschrieben und unsere Situation geschildert und um Hilfe gebeten, und bereits am nächsten Tag hatte ich eine sehr liebe Antwort im Postfach und mir wurde ein Telefonat angeboten, das dann auch am selben Tag noch stattfand. Wir telefonierten sogar noch ein weiteres Mal an diesem Tag, und am Mittwoch dann war es soweit: Katja (ich hab den Namen aus Datenschutzgründen geändert) kam uns besuchen.

    Wir haben unsere Erwartungen an diesen Besuch und an die nächste Zeit ganz offen gehalten. Die Informationen, die ich vorab über die Herangehensweise der Schreiambulanz-Therapeuten bekommen habe, waren für mich etwas diffus und ich konnte mir nicht so recht etwas darunter vorstellen.
    Katja ist eine wahnsinnig nette Frau in den Fünfzigern, ziemlich alternativ angehaucht (alles andere hätte mich auch überrascht) und hat, laut ihrer Aussage, schon sehr viel Erfahrung mit sehr vielen Schreikindern gemacht.
    Wir haben zuerst über die Geburt gesprochen und Katja hat sich auch ganz ernsthaft mit Linus unterhalten und sich ihm ganz allmählich angenähert. Sie arbeitet darauf hin, ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufzubauen, um ihn massieren und seine Verspannungen lösen zu können. Auch die Eltern können massiert werden, wenn sie wollen. Im Grunde geht es um eine ganzheitliche Entspannung, um ein Wiederfinden zu sich selbst und seiner inneren Ruhe. Wir haben auch darüber gesprochen, wie wir uns gerade in unserer Situation fühlen. Weit sind wir noch nicht gekommen, aber Katja hat uns versichert, auch wenn man nicht sieht, was sie tut, am Ende hilft es, und dass sie noch nie einen hoffnungslosen Fall hatte.
    Sie wird uns in den nächsten Wochen begleiten, der nächste Termin ist am Mittwoch. Man kann sie Tag und Nacht anrufen, wenn man sie braucht.

    Den alternativen Weg zu gehen ist immer mit viel Glauben verbunden. Wo die Schulmedizin nicht weiter weiß, ist der alternative Weg eine weitere Hoffnung. Ich habe in einem früheren Post gesagt, ich wüsste noch nicht, wohin die Reise gehe. Aber ich bin bereit, es herauszufinden.

    Alles, was ich weiß, ist, dass ich Linus seit Katjas Besuch nachts viel weniger in den Schlaf stillen musste als vorher. Er hat in jeder Nacht seit ihrem Besuch wenigstens eine Schlafphase von ca. drei, manchmal sogar mehr Stunden gehabt. Das gab es hier seit Monaten nicht mehr. (!!!)
    Unser Leben hat sich nicht grundlegend verändert (das erwarten wir auch nicht), aber es gibt spürbare kleine Veränderungen. Keine Ahnung, woran es liegt. Ist vielleicht alles Zufall.
    Vielleicht aber auch nicht. Die Zeit wird es zeigen.
  10. Mary Martini
    Was Linus betraf, war heute ein guter Tag. Er ist zwar bereits um sechs wach geworden (Babys schert es halt nicht, ob Sonntag ist oder nicht), aber geweckt hat mich ein ziemlich böser Migräneanfall, der mich über die Kloschüssel getrieben und mich bis zum Nachmittag in Atem gehalten hat. Der Papa nahm mir glücklicherweise den Kleinen ab, und der war richtig lieb und gut gelaunt. Gequengel gab es nur abends beim Essen (wie immer; wir können zwar seit einigen Wochen schon wieder gemeinsam essen, aber Linus macht allabendlich Rabatz - ich hab allerdings irgendwo mal gehört, dass Babys oft zur Unruhe neigen, wenn die Eltern essen - sie möchten am Familenleben teilnehmen) und noch ein bisschen zur Schlafenszeit. Wobei er heute innerhalb von fünf Minuten eingeschlafen ist! Ich habe gestaunt. Leider hat er nur für eine halbe Stunde geschlafen und dann bitterlich geweint, sodass ich noch mal ran musste. Zehn Minuten nach dem erneuten Einschlafen wurde er wieder wach, dieses Mal begleitete Papa ihn zurück in den Schlaf. Jetzt schlummert der Rabauke seit einer guten halben Stunde und ich würde mich freuen, wenn es noch eine Weile so bliebe.

    Ich habe in den letzten Tagen verstärkt Berichte und Artikel zum Thema Schreikind gelesen und war wieder einmal erstaunt, wie die beschriebenen Persönlichkeitsmerkmale von Schreikindern auf Linus zutreffen. So sind die meisten Schreibabys eher quengeliger Natur und fordern die Eltern sehr. Wir nennen Linus oft liebevoll "Meckerkopf" oder auch "Quak-Quak", denn er quäkt und quengelt sehr viel und wird sehr schnell unzufrieden. Es gibt dieses Buch von William Sears - Das 24-Stunden-Baby. Ich habe es noch nicht gelesen, werde es mir aber noch besorgen, denn so ein 24/7 Baby haben wir auch. Linus muss eigentlich immer beschäftigt werden und hasst es, einfach irgendwo zu liegen oder, noch schlimmer, nicht beachtet zu werden (was im Grunde nicht vorkommt, aber wenn sich die Großen mal unterhalten und er nicht einbezogen wird, wird er ganz schnell unleidlich).
    Motorische Unruhe, oft ein weiteres Merkmal von Schreikindern, trifft ganz eindeutig auf Linus zu. Er hält eigentlich nie still, muss sich immer bewegen, ist zappelig-hibbelig-wuschelig und das schon seit seiner Geburt.
    Tja, und dann die Schlafstörungen ... Einschlafen ist wohl für Schreibabys immer eine Herausforderung, die sie schlecht allein meistern können. Sich selbst zu beruhigen fällt ihnen sehr schwer, und so brauchen sie beim Einschlafen Hilfe - vorzugsweise von der Mama und ihren zwei "Bionuckeln" - so nennt es eine meiner Mit-Herbstmamis sehr treffend. Vom Einschlafstillen kann ich mehr als ein Liedchen singen ...

    Ich musste über diese Persönlichkeitsmerkmale viel nachdenken und bin irgendwie ein bisschen demotiviert, vielleicht sogar pessimistisch, ob überhaupt irgendetwas Linus "heilen" kann. Ich weiß, es gibt keine Patentlösung. Kein Medikament, das helfen könnte, weil Linus ja nicht in dem Sinne krank ist. Sein ganzes Wesen, sein Charakter - kann (oder sollte) man den überhaupt zu ändern versuchen? Ich habe auch Schwächen und Eigenschaften an mir, die nicht so gut sind, aber sie machen mich zu der, die ich bin.
    Das Schreien wird vielleicht vergehen, wenn wir einen Weg finden, Linus dabei zu helfen. Aber die Wesenszüge, die Charaktereigenschaften, die werden bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Hibbelkind plötzlich ganz ruhig wird, oder geduldig, oder dass er problemlos ein- und durchschlafen wird, ohne dass seine Dämonen ihn weiter quälen. Stürze ich mich in falsche Hoffnungen, wenn ich glaube, dass sich Dinge ändern lassen? Wird Linus immer eine solche Herausforderung bleiben?
    Ich weiß, was einige, die das hier lesen, jetzt denken müssen: Jedes Baby ist auf seine Weise eine Herausforderung. Das stimmt auch vollkommen. Dennoch habe ich ein bisschen Angst vor der Zukunft. Angst, dass Linus nie richtig zufrieden sein wird. Angst, dass er aufbrausend und ungeduldig sein wird und sich dadurch selbst im Weg steht. Habe ein bisschen Angst vor einem Riesentrotzkopf, der sich um jeden Preis durchsetzen will. Und ich weiß noch nicht, wie ich dem, sollte es so sein, entgegenwirken kann.
    Ich habe schon beides gehört. Manche sagen, ein Schreibaby wird später ausgeglichen und glücklich, weil es die schwere Zeit schon hinter sich hat. Andere berichten von Schreibabys, die später Probleme mit anderen haben, vielleicht sogar ein Aufmerksamkeitsdefizit entwickeln oder sich auf der anderen Seite gar nichts (zu)trauen.

    Mein Kind ist ein wahnsinnig großes Geschenk. Ich habe es mir von Herzen gewünscht und ich würde es nie wieder hergeben. Und ich möchte das Beste für den Rabauken. Das Aller-, Allerbeste.
    Nur werde ich ihm das auch geben können ...?
  11. Mary Martini
    ***
    Kleine Veränderungen, manchmal Erleichterung; leider auch viel Frust.


    Um Weihnachten herum entspannte sich die zermürbende Situation etwas, wir konnten endlich mal wieder ein wenig aufatmen und schöpften neue Hoffnung, dass der Spuk bald ein Ende haben würde. Immerhin war Linus jetzt drei Monate alt, und es bestand zumindest die Möglichkeit, dass die elenden 3-Monats-Koliken nun vorbei wären.
    Ungefähr zwei Wochen lang lebten wir ein ziemlich normales Leben. Ich war endlich wieder gesund, Linus schrie mäßig bis wenig und schlief auch anständig. Der Papa konnte auch wieder lachen und allgemein waren wir guter Hoffnung, dass sich alles zum Besten wenden würde.

    Leider hielt diese gute Phase nicht an. Ob es einer der berüchtigten "Schübe" (wieder ein Mysterium wie das Schreibaby und die 3-Monats-Koliken) war oder die entspannten Tage einfach nur Zufall gewesen waren, wissen wir nicht. Ganz schnell waren wir wieder da angekommen, wo wir gehofft hatten, nie wieder anzukommen - zugegeben mit einigen Modifikationen. Der Rabauke schrie tagsüber nicht mehr ganz so viel wie am Anfang (was dennoch nicht wenig war), dafür wurden unsere Nächte jetzt schlimmer. Linus ließ sich kaum zum Einschlafen bringen, er brüllte sich wahnsinnig schnell ein und an Schlafen war nicht zu denken. Sein letztes Nickerchen machte er gegen 20 Uhr, für ca. eine halbe bis Dreiviertelstunde. Danach war er wach bis in die Nacht. Alle Versuche, seinen Rhythmus zu ändern und das letzte Nickerchen dadurch einzustampfen, schlugen fehl. Und so trugen wir Linus durchs Schlafzimmer, Nacht für Nacht, und versuchten ihm zu zeigen, dass alles gut war, er ruhig schlafen könnte, er keine Angst zu haben bräuchte (oder was auch immer für ein Dämon in ihm steckte, der ihm und uns das Leben so schwer machte). Schlimm war es für mich, wenn der Papa Nachtdienst hatte und ich allein mit Linus war. Ich fühlte mich dann noch ohnmächtiger als sowieso schon, obwohl ich sagen muss, dass es manchmal sogar ruhiger zuging. Vielleicht, weil Linus den unterschwelligen Frust (den wir NIEMALS! an ihm ausließen), dann nur zur Hälfte spürte. Für mich waren diese Nächte jedoch ähnlich schlaflos wie für den Papa im Nachtdienst.
    Uns mit der Situation irgendwie zu arrangieren, hieß hinzunehmen, dass wir nur getrennt essen konnten, weil einer sich um das Kind kümmern musste, das schrie, wenn es auch nur wenige Minuten allein lag. Dass wir, wenn wir Omas oder Freunde besuchten, kaum zu einer vernünftigen Konversation fähig waren, weil das Baby unentwegt schrie. Dass wir uns Zeit für uns selbst stehlen mussten, immer in der Angst, sowohl Baby als auch Partner dann nicht mehr gerecht zu werden. Schreiattacken im Bus hinzunehmen, beim Einkaufen, beim Spazierengehen, wenn man wenigstens einmal in der Woche seine Lieblingsserie schauen wollte. Schreiattacken, wenn Besuch kam und natürlich auch bei Kopfweh und Müdigkeit, bei Wind und Wetter sozusagen. Das schmerzte.

    Linus ist schon immer ein aufgewecktes Baby gewesen - so aufgeweckt und herzlich, dass Menschen, die ihn nicht gut kennen, nie auf die Idee kommen würden, er wäre ein Schreikind (bis sie ihn hören). Er ist sehr neugierig und impulsiv, sehr sensibel, wahnsinnig an seiner Umwelt interessiert und lässt sich schnell begeistern. Manchmal erinnert er mich an seine Mama, die auch himmelhochjauchzend - zu Tode betrübt sein kann. Vielleicht nimmt er so vieles wahr, dass er schwer wieder runterkommt. Die Geburt allein kann es nicht gewesen sein, auch wenn ich durchaus glaube, dass sie einen Teil zu unserem Dilemma beigetragen hat. Im Endeffekt weiß man nie, wen es trifft. Ich kenne Babys, deren Kaiserschnitt geplant war und die, obwohl sie nicht "natürlich", wie es so schön heißt, zur Welt gekommen sind, ganz ausgeglichen und fröhlich sind. Dann widerum gibt es Babys, die eine wunderschöne Geburt hatten und sich trotzdem durchs Leben schreien. Die Hoffnung, eine Antwort auf mein "Warum" zu erhalten, kann ich wohl aufgeben, wenn ich so darüber nachdenke.
    Vielleicht ist das ja auch ganz richtig so. Das Kind ist in den Brunnen gefallen und anstatt darüber zu lamentieren, wie in Gottes Namen das bloß passieren konnte, sollte man sich ein Seil schnappen ... und den Rabauken herausholen.
  12. Mary Martini
    Hier geht es weiter ...

    Wir wurden hilfloser und hilfloser. Unser Kinderarzt hatte keinen vernünftigen Rat für uns bzw. konnte uns nichts sagen, was wir nicht selbst schon wussten. Osteopathie (der Rat unserer Hebamme) bewirkte rein gar nichts (ich habe allerdings im Forum schon von mehreren Fällen gelesen, in denen O. super half, wir sind also kein Paradebeispiel). Was wir noch alles versuchten, könnt ihr in der folgenden Liste abrufen (vielleicht auch ein Leitfaden für andere schreibabygeplagte Eltern, die einen Tipp brauchen - bei anderen hilft vielleicht, was uns nicht helfen konnte und umgekehrt):

    - Mittelchen gegen Bauchweh: Kümmelzäpfchen gegen Blähungen und Verstopfung (hatten bei uns einen Teilerfolg), Sab Simplex, damit die Milch nicht schäumt (hätten wir genausogut weglassen können), Kirschkernkissen (unverzichtbar für uns; damit ging es Linus wenigstens ein bisschen besser), viel Still- oder Fencheltee für die Mama (hat in unserem Fall gar nix gebracht), Windsalbe bzw. Kupfersalbe (beides wirkungslos), Babybäuchleinöl (sollte man, finde ich, da haben, auch wenn ich es nicht allzu oft angewandt habe)

    - Methoden gegen Bauchweh: Fliegergriff (Papa hat Popeye-Arme bekommen, weil er Linus so unglaublich oft getragen hat), Tragetuch (ich hab mal gelesen, wenn Babys soundsoviele Stunden am Tag getragen werden, weinen sie soundsoviel weniger - bei Linus gab es keinen Unterschied, aber aus anderen Gründen empfehle ich das Tragen ganz ausdrücklich, es ist richtig und wahnsinnig wichtig für Babys!), allgemeines Herumtragen (möglichst über Stunden und vielleicht noch ein Liedchen dabei singend - das beruhigt einen selbst zumindest ein bisschen, weil man beim Singen nicht nachdenken kann)

    - Osteopathie: Um Blockaden zu lösen, die (nicht nur) während eines Kaiserschnitts entstanden sind - es gibt Babys, die schlafen danach ruhiger, weinen nicht mehr so viel, wirken insgesamt ausgeglichener und können besser abführen

    - Stillen gegen Bauchweh: Muttermilch ist am besten verträglich und verdaulich und Muttermilch hilft beim Abführen (Ich selbst würde immer wieder stillen, aber aus verschiedensten Gründen geht das nicht immer, deshalb verteufle ich Flaschennahrung nicht)

    - Pucken gegen das Schreien: Viele Babys mögen es, straff eingepackt zu werden. Durch das Pucken konnten wir oft zumindest die schlimmsten Schreiattacken mildern. Es hat eine Weile gedauert, bis er sich beruhigt hat, aber das Pucken hat wirklich noch mit am besten geholfen. Zu diesem Thema kann ich ein Buch empfehlen, das sich zwar nicht durch den besten Stil auszeichnet, aber lesenswert ist: Das glücklichste Baby der Welt von Harvey Karp.

    - Touren im Kinderwagen (wahlweise auch im Auto, aber wir haben keins): Anfangs war das Gefährt unser "magic pram". Ziemlich schnell aber verflog der Zauber und Linus brüllte nur noch, wenn er in den Kinderwagen gelegt wurde.

    - Achtung Reizüberflutung: Zu viele Besucher, zu viele Ausflüge, zu viel Radio, vielleicht Fernsehen oder anderes überfordert die kleinen Dinger sehr schnell mal. Wir haben es an Linus gemerkt: Als wir zwei Wochen lang konsequent auf alles verzichteten, was Geräusche von sich gab, nirgendwo mehr mit ihm hingingen außer in den Park zum Spazieren, und die Besucher fernhielten, besserte sich Linus' Zustand - zumindest ein wenig. Natürlich kann man nicht sein restliches Leben als Eremit verbringen. Aber ich würde immer darauf achten, das Baby nicht mit Reizen zu überfordern.

    - Niemals schreien lassen (es sei denn, man braucht mal eine Minute, um durchzuatmen, aber dann ist im Idealfall der Papa da und löst ab): Ich vertrete die Auffassung, dass Babys nur noch mehr schreien, wenn man sie schreien lässt. Ich habe es an Linus gemerkt: Er wurde noch hysterischer, wenn man nicht schnell reagiert hat. Außerdem müssen Babys ein Vertrauen zu ihren Eltern (und zur Welt) aufbauen, und das können sie nicht, wenn alles, was sie lernen, ist, dass niemand hilft, wenn sie Hilfe brauchen.

    - Eine Ausnahme von dem, was ich über das Schreien lassen gesagt habe, ist, wenn man das Baby sich "ausschreien" lässt. Den Tipp bekam ich von jemandem aus dem Forum. Man nimmt sein Kind in den Arm und geht mit ihm durch diese schlimme Schreiattacke, ohne es stoppen zu wollen. Man stützt sein Kind und zeigt ihm, dass man da ist. Jeder muss mal seinen Frust rauslassen - auch Babys. Und die können nicht anders als zu schreien.
    Ich finde diese Methode gar nicht verkehrt, muss aber zugeben, dass ich selbst schon zu erledigt war, um das regelmäßig durchziehen zu können. Ich habe es einfach nicht ausgehalten und ich hatte Angst, dass Linus mir auf meinem Arm erstickt.

    Diese Liste ist bei Weitem nicht vollständig, sondern nur das, was wir selbst ausprobiert haben. Ich bin kein Mediziner und kann zu den ominösen 3-Monats-Koliken nicht viel sagen. Sie sind nicht vollständig erforscht und kontrovers - manche glauben, es sei eine Unreife des Darms, die dafür sorgen, dass Babys Bauchweh und Blähungen haben und deshalb vor Schmerzen schreien. Andere widerum sagen quatsch, das liegt an keiner Unreife, Babys in Naturvölkern leiden nicht an Koliken, warum also sollten die Därme westlicher Babys unreifer sein als die Därme von Naturvölkerbabys?
    Ich weiß nur, dass Linus eine Menge gepupst hat und dass er danach geschrien hat, also besteht zumindest für mich ein direkter Zusammenhang zwischen beidem. Dennoch konnte ich diese 3-Monats-Koliken nicht heilen, nur mindern. Und auch gegen das Schreien konnte ich bisher nicht wirklich etwas ausrichten - nur ein wenig Balsam auftragen. Wir haben wirklich vieles versucht, doch auch wenn sich die Qualität und auch Quantität des Schreiens nach den ersten dreieinhalb Monaten verändert hat (dazu in einem anderen Blogeintrag mehr), sind wir noch immer recht hilflos. Wir als leidtragende Familie (Mama, Papa und Linus) finden, dass wir jetzt endlich die richtige Hilfe bekommen sollten, und deshalb haben wir uns an die Schreiambulanz gewandt. Unser Kind möchte glücklich sein. Und wir mit ihm, denn dass die Situation der letzten Monate (auch wenn ich sie nur kurz umrissen habe) eine Belastung für Körper und Seele ist, steht außer Frage und können bestimmt nicht nur Eltern anderer "Schreibabys" nachvollziehen.

    Bevor ich ende, möchte ich unbedingt noch auf die gutgemeinten Ratschläge anderer eingehen. Über das "Lass ihn doch mal schreien und spring nicht immer gleich, du verziehst ihn ja" möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen, weil ich glaube (oder hoffe), dass unsere Generation über diesen Irrglauben hinaus ist.
    Ich habe mir von verschiedener Seite anhören dürfen, dass mein Kind schreit, weil ich es nicht satt bekomme. Ein Freund vom Papa belatscherte uns ständig (tut es noch, obwohl wir mehrfach etwas dazu gesagt haben), dass wir die Muttermilch mit Cerealien strecken sollten, damit sie Linus schwerer im Magen liegt und dann würde er auch besser schlafen können und nicht mehr so schreien.
    Mein Stiefvater riet mir immer wieder, es doch mit Säuglingsmilch zu versuchen; Linus würde zwar von meiner Milch alles bekommen, was er braucht, nur würde es nicht reichen, um ihn satt zu machen - kein Wunder, dass er immer so schreit.
    Meine Schwiegermutter kam eines Tages mit einer Babywaage aus der Apotheke an und forderte mich auf, Linus vor und nach dem Stillen zu wiegen, um zu schauen, ob er auch genug trinkt.
    Wann immer Menschen auf der Straße oder im Bekannten- und Verwandtenkreis Linus' Schreien hörten, hieß es, er habe sicher Hunger und würde deshalb so viel schreien.
    Weil ich nach Bedarf stille, hörte ich oft, dass er so viel trinke, weil er nie richtig satt würde.
    (Kleine Anmerkung von mir: Mein Sohn kam mit viereinhalb Kilo auf die Welt und nahm seitdem kontinuierlich zu, war also nie als Hänfling zu bezeichnen.)

    Ich möchte hier ganz persönlich etwas dazu sagen, weil mich diese Bemerkungen immer sehr aufgewühlt haben: Ich bin mir sicher, dass ich meinem Kind das Beste gegeben habe, was es bekommen konnte. Ich habe im engen Freundeskreis eine Still- und Laktationsberaterin und angehende Hebamme, die mich, wie meine Wochenbetthebamme, immer gebeten hat, nicht auf solche unqualifizierten Äußerungen zu hören. Ich hatte immer genug Milch (man sieht es am Gedeihen des Kindes - er lag immer gleich auf der Gewichtsskala) und diese allein hat auch gereicht, ohne Zusätze hinzuzugeben oder zuzufüttern. Ich will damit nicht sagen, dass man nie zufüttern muss - es gibt viele Wege, sein Kind zu ernähren, und es ist immer eine individuelle Entscheidung. Aber mein Kind hätte nicht weniger geschrien oder besser geschlafen, wenn es noch mehr oder andere Milch bekommen hätte. Ich beziehe mich hier auf unsere ersten dreieinhalb Monate.
    Es ist für eine Generation, deren Kinder größtenteils mit der Flasche aufgezogen wurden, immer leicht zu sagen: Deine Muttermilch reicht nicht. Was man im Laden kaufen kann, muss einfach besser sein als das, was der Körper produziert. Viele Menschen kennen die Vorteile von Muttermilch nicht oder nur grob (weil sie sich nie damit auseinander gesetzt haben oder auseinander setzen mussten), und ich schweife vom Thema ab, wenn ich mich hier weiter verstricke (auch wenn ich gerne wollen würde; aber ich habe nicht vor, ein Muttermilch-Pro-und-Contra-Battle zu eröffnen).
    Ich möchte nur sagen, dass man Schreibabys niemals lapidar unterstellen sollte, sie schreien, weil sie nicht satt werden.

    Und damit ende ich für dieses Mal.
  13. Mary Martini
    ***
    Die ersten dreieinhalb Monate; was war, was wir taten, was uns geraten wurde


    Die Situation, in die Linus hineingeboren wurde, war wirklich nicht so schön. Nachdem die Geburt ziemlich aus den Fugen geraten war (wer mag, kann ja im Forum unter Kaiserschnitt-Geburten nach meinem Bericht suchen), dümpelten wir in den ersten Tagen mehr oder weniger hilflos vor uns hin. Die Schwestern auf der Notbehelf-Station, auf die ich abschoben wurde, konnten oder wollten nichts Rechtes mit uns anfangen und meine Schmerzmedikation war ein Witz. Nach zweieinhalb Tagen waren wir zuhause (worüber ich einerseits dankbar war, was andererseits aber auch zu früh war, bedenkt man, dass ich eine OP hinter mir hatte) und dann gab es - außer natürlich meinem wunderschönen Baby - für mich eine Weile nur noch Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen. Für jeden Schritt brauchte ich Hilfe - Hilfe beim Ins-Bett-und-wieder-aussteigen, Hilfe beim Anlegen des Babys, Hilfe beim Anziehen. Wie oft ich wütend und voller Schmerzen meine Sachen an die Wand oder durch den Raum gefeuert habe, weiß ich gar nicht mehr. Tagsüber saß ich mit Stillkissen und Baby auf dem Schoß auf der Couch, weil liegen nicht ging. Jeder Gang zur Toilette war eine Herausforderung. Als Linus angefangen hatte zu schreien und nicht mehr allein liegen wollte, musste ich mir diese Gänge verkneifen, bis Schatze von der Arbeit kam, und verbrachte lange Stunden auf der Couch, die Stunden und Minuten zählend, bis ich endlich nicht mehr allein war, immer in Panik, dass das Baby gleich aufwacht und schreit.
    Es stellte sich heraus, dass sich unter der KS-Naht ein Hämatom gebildet hatte, das Raum forderte und dementsprechend schmerzte und punktiert werden musste. Außerdem hatten die OP-Ärzte meine linke Seite (innen) extrem fest zugenäht, sodass jede Bewegung wie Feuer brannte und ich mehrere Wochen lang nicht aufrecht gehen konnte. Zu allem Überfluss bildete sich auch noch ein Keim in der Naht und meine FÄ spülte sie mit Wasserstoffperoxid aus. (Ob man es glaubt oder nicht - das tat sogar noch mehr weh als die schlimmste Wehe, die ich gehabt hatte.)
    Doch zurück zum Thema: In den ersten Tagen verhielt sich Linus wie jedes andere Baby auch. Er schlief viel, trank noch mehr, weinte von Zeit zu Zeit, schlief dann wieder und war ganz allgemein das wunderschönste Baby, das ich je gesehen hatte. Als das Schreien begann, sahen wir die Sache zunächst noch gelassen. Jedes Baby schreit mal, stimmt doch.
    Einige Wochen später sah das Ganze schon ganz anders aus. Unser Leben bestand aus Geschrei. Linus schrie eigentlich immer, wenn er wach war. Während es sich vormittags noch in Grenzen hielt, weil er da viel schlief, ging es am Nachmittag richtig los und dauerte an bis in die Nacht. Linus pupste und schrie. Er machte in die Windel (nix Verstopfung, schöner flüssiger Muttermilchstuhl) und schrie. Man sah ihn an - und er schrie. Man legte ihn für einen Moment ab, weil man dachte, er sei eingeschlafen - und er schrie. Dann pupste er wieder und schrie noch mehr. Es wurde dunkel und er schrie. Wir waren hundemüde - Linus schrie. Manchmal, und das war besonders schlimm für mich - schrie er so sehr, dass er nicht mehr trinken konnte. Ich wusste, er hat Hunger, doch er war so aufgebracht, dass er nicht andocken konnte. (Zu diesem Thema später noch etwas, unter dem Stichwort "Gute Ratschläge" ...)
    Wenn er gegen elf, zwölf oder eins endlich eingeschlafen war, verlief die Nacht recht ruhig. Ich stillte (und stille bis heute) alle ein bis zwei Stunden; in den ersten Wochen lagen sogar oft vier Stunden dazwischen. Klar, ich leide inzwischen unter chronischem Schlafmangel, verwechsle Wörter oder finde sie gar nicht mehr in meinem Gehirn, scheine ständig etwas zu verlieren (bevorzugt Schlüssel, die dann aber doch wieder auftauchen) und wenn meine Schwiegermutter zu Besuch kommt, mache ich mich in meiner Trotteligkeit mindestens einmal zum Nappel vor ihr. Aber die Nächte waren im Verhältnis zu den Tagen in den ersten Monaten geradezu unspektakulär. (Ausnahmen bestätigen die Regel.)

    Weiter geht es im zweiten Teil ...
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