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Mary Martini

Adeba-Reporter
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  1. *** Kleine Veränderungen, manchmal Erleichterung; leider auch viel Frust. Um Weihnachten herum entspannte sich die zermürbende Situation etwas, wir konnten endlich mal wieder ein wenig aufatmen und schöpften neue Hoffnung, dass der Spuk bald ein Ende haben würde. Immerhin war Linus jetzt drei Monate alt, und es bestand zumindest die Möglichkeit, dass die elenden 3-Monats-Koliken nun vorbei wären. Ungefähr zwei Wochen lang lebten wir ein ziemlich normales Leben. Ich war endlich wieder gesund, Linus schrie mäßig bis wenig und schlief auch anständig. Der Papa konnte auch wieder lachen und allgemein waren wir guter Hoffnung, dass sich alles zum Besten wenden würde. Leider hielt diese gute Phase nicht an. Ob es einer der berüchtigten "Schübe" (wieder ein Mysterium wie das Schreibaby und die 3-Monats-Koliken) war oder die entspannten Tage einfach nur Zufall gewesen waren, wissen wir nicht. Ganz schnell waren wir wieder da angekommen, wo wir gehofft hatten, nie wieder anzukommen - zugegeben mit einigen Modifikationen. Der Rabauke schrie tagsüber nicht mehr ganz so viel wie am Anfang (was dennoch nicht wenig war), dafür wurden unsere Nächte jetzt schlimmer. Linus ließ sich kaum zum Einschlafen bringen, er brüllte sich wahnsinnig schnell ein und an Schlafen war nicht zu denken. Sein letztes Nickerchen machte er gegen 20 Uhr, für ca. eine halbe bis Dreiviertelstunde. Danach war er wach bis in die Nacht. Alle Versuche, seinen Rhythmus zu ändern und das letzte Nickerchen dadurch einzustampfen, schlugen fehl. Und so trugen wir Linus durchs Schlafzimmer, Nacht für Nacht, und versuchten ihm zu zeigen, dass alles gut war, er ruhig schlafen könnte, er keine Angst zu haben bräuchte (oder was auch immer für ein Dämon in ihm steckte, der ihm und uns das Leben so schwer machte). Schlimm war es für mich, wenn der Papa Nachtdienst hatte und ich allein mit Linus war. Ich fühlte mich dann noch ohnmächtiger als sowieso schon, obwohl ich sagen muss, dass es manchmal sogar ruhiger zuging. Vielleicht, weil Linus den unterschwelligen Frust (den wir NIEMALS! an ihm ausließen), dann nur zur Hälfte spürte. Für mich waren diese Nächte jedoch ähnlich schlaflos wie für den Papa im Nachtdienst. Uns mit der Situation irgendwie zu arrangieren, hieß hinzunehmen, dass wir nur getrennt essen konnten, weil einer sich um das Kind kümmern musste, das schrie, wenn es auch nur wenige Minuten allein lag. Dass wir, wenn wir Omas oder Freunde besuchten, kaum zu einer vernünftigen Konversation fähig waren, weil das Baby unentwegt schrie. Dass wir uns Zeit für uns selbst stehlen mussten, immer in der Angst, sowohl Baby als auch Partner dann nicht mehr gerecht zu werden. Schreiattacken im Bus hinzunehmen, beim Einkaufen, beim Spazierengehen, wenn man wenigstens einmal in der Woche seine Lieblingsserie schauen wollte. Schreiattacken, wenn Besuch kam und natürlich auch bei Kopfweh und Müdigkeit, bei Wind und Wetter sozusagen. Das schmerzte. Linus ist schon immer ein aufgewecktes Baby gewesen - so aufgeweckt und herzlich, dass Menschen, die ihn nicht gut kennen, nie auf die Idee kommen würden, er wäre ein Schreikind (bis sie ihn hören). Er ist sehr neugierig und impulsiv, sehr sensibel, wahnsinnig an seiner Umwelt interessiert und lässt sich schnell begeistern. Manchmal erinnert er mich an seine Mama, die auch himmelhochjauchzend - zu Tode betrübt sein kann. Vielleicht nimmt er so vieles wahr, dass er schwer wieder runterkommt. Die Geburt allein kann es nicht gewesen sein, auch wenn ich durchaus glaube, dass sie einen Teil zu unserem Dilemma beigetragen hat. Im Endeffekt weiß man nie, wen es trifft. Ich kenne Babys, deren Kaiserschnitt geplant war und die, obwohl sie nicht "natürlich", wie es so schön heißt, zur Welt gekommen sind, ganz ausgeglichen und fröhlich sind. Dann widerum gibt es Babys, die eine wunderschöne Geburt hatten und sich trotzdem durchs Leben schreien. Die Hoffnung, eine Antwort auf mein "Warum" zu erhalten, kann ich wohl aufgeben, wenn ich so darüber nachdenke. Vielleicht ist das ja auch ganz richtig so. Das Kind ist in den Brunnen gefallen und anstatt darüber zu lamentieren, wie in Gottes Namen das bloß passieren konnte, sollte man sich ein Seil schnappen ... und den Rabauken herausholen.
  2. Hier geht es weiter ... Wir wurden hilfloser und hilfloser. Unser Kinderarzt hatte keinen vernünftigen Rat für uns bzw. konnte uns nichts sagen, was wir nicht selbst schon wussten. Osteopathie (der Rat unserer Hebamme) bewirkte rein gar nichts (ich habe allerdings im Forum schon von mehreren Fällen gelesen, in denen O. super half, wir sind also kein Paradebeispiel). Was wir noch alles versuchten, könnt ihr in der folgenden Liste abrufen (vielleicht auch ein Leitfaden für andere schreibabygeplagte Eltern, die einen Tipp brauchen - bei anderen hilft vielleicht, was uns nicht helfen konnte und umgekehrt): - Mittelchen gegen Bauchweh: Kümmelzäpfchen gegen Blähungen und Verstopfung (hatten bei uns einen Teilerfolg), Sab Simplex, damit die Milch nicht schäumt (hätten wir genausogut weglassen können), Kirschkernkissen (unverzichtbar für uns; damit ging es Linus wenigstens ein bisschen besser), viel Still- oder Fencheltee für die Mama (hat in unserem Fall gar nix gebracht), Windsalbe bzw. Kupfersalbe (beides wirkungslos), Babybäuchleinöl (sollte man, finde ich, da haben, auch wenn ich es nicht allzu oft angewandt habe) - Methoden gegen Bauchweh: Fliegergriff (Papa hat Popeye-Arme bekommen, weil er Linus so unglaublich oft getragen hat), Tragetuch (ich hab mal gelesen, wenn Babys soundsoviele Stunden am Tag getragen werden, weinen sie soundsoviel weniger - bei Linus gab es keinen Unterschied, aber aus anderen Gründen empfehle ich das Tragen ganz ausdrücklich, es ist richtig und wahnsinnig wichtig für Babys!), allgemeines Herumtragen (möglichst über Stunden und vielleicht noch ein Liedchen dabei singend - das beruhigt einen selbst zumindest ein bisschen, weil man beim Singen nicht nachdenken kann) - Osteopathie: Um Blockaden zu lösen, die (nicht nur) während eines Kaiserschnitts entstanden sind - es gibt Babys, die schlafen danach ruhiger, weinen nicht mehr so viel, wirken insgesamt ausgeglichener und können besser abführen - Stillen gegen Bauchweh: Muttermilch ist am besten verträglich und verdaulich und Muttermilch hilft beim Abführen (Ich selbst würde immer wieder stillen, aber aus verschiedensten Gründen geht das nicht immer, deshalb verteufle ich Flaschennahrung nicht) - Pucken gegen das Schreien: Viele Babys mögen es, straff eingepackt zu werden. Durch das Pucken konnten wir oft zumindest die schlimmsten Schreiattacken mildern. Es hat eine Weile gedauert, bis er sich beruhigt hat, aber das Pucken hat wirklich noch mit am besten geholfen. Zu diesem Thema kann ich ein Buch empfehlen, das sich zwar nicht durch den besten Stil auszeichnet, aber lesenswert ist: Das glücklichste Baby der Welt von Harvey Karp. - Touren im Kinderwagen (wahlweise auch im Auto, aber wir haben keins): Anfangs war das Gefährt unser "magic pram". Ziemlich schnell aber verflog der Zauber und Linus brüllte nur noch, wenn er in den Kinderwagen gelegt wurde. - Achtung Reizüberflutung: Zu viele Besucher, zu viele Ausflüge, zu viel Radio, vielleicht Fernsehen oder anderes überfordert die kleinen Dinger sehr schnell mal. Wir haben es an Linus gemerkt: Als wir zwei Wochen lang konsequent auf alles verzichteten, was Geräusche von sich gab, nirgendwo mehr mit ihm hingingen außer in den Park zum Spazieren, und die Besucher fernhielten, besserte sich Linus' Zustand - zumindest ein wenig. Natürlich kann man nicht sein restliches Leben als Eremit verbringen. Aber ich würde immer darauf achten, das Baby nicht mit Reizen zu überfordern. - Niemals schreien lassen (es sei denn, man braucht mal eine Minute, um durchzuatmen, aber dann ist im Idealfall der Papa da und löst ab): Ich vertrete die Auffassung, dass Babys nur noch mehr schreien, wenn man sie schreien lässt. Ich habe es an Linus gemerkt: Er wurde noch hysterischer, wenn man nicht schnell reagiert hat. Außerdem müssen Babys ein Vertrauen zu ihren Eltern (und zur Welt) aufbauen, und das können sie nicht, wenn alles, was sie lernen, ist, dass niemand hilft, wenn sie Hilfe brauchen. - Eine Ausnahme von dem, was ich über das Schreien lassen gesagt habe, ist, wenn man das Baby sich "ausschreien" lässt. Den Tipp bekam ich von jemandem aus dem Forum. Man nimmt sein Kind in den Arm und geht mit ihm durch diese schlimme Schreiattacke, ohne es stoppen zu wollen. Man stützt sein Kind und zeigt ihm, dass man da ist. Jeder muss mal seinen Frust rauslassen - auch Babys. Und die können nicht anders als zu schreien. Ich finde diese Methode gar nicht verkehrt, muss aber zugeben, dass ich selbst schon zu erledigt war, um das regelmäßig durchziehen zu können. Ich habe es einfach nicht ausgehalten und ich hatte Angst, dass Linus mir auf meinem Arm erstickt. Diese Liste ist bei Weitem nicht vollständig, sondern nur das, was wir selbst ausprobiert haben. Ich bin kein Mediziner und kann zu den ominösen 3-Monats-Koliken nicht viel sagen. Sie sind nicht vollständig erforscht und kontrovers - manche glauben, es sei eine Unreife des Darms, die dafür sorgen, dass Babys Bauchweh und Blähungen haben und deshalb vor Schmerzen schreien. Andere widerum sagen quatsch, das liegt an keiner Unreife, Babys in Naturvölkern leiden nicht an Koliken, warum also sollten die Därme westlicher Babys unreifer sein als die Därme von Naturvölkerbabys? Ich weiß nur, dass Linus eine Menge gepupst hat und dass er danach geschrien hat, also besteht zumindest für mich ein direkter Zusammenhang zwischen beidem. Dennoch konnte ich diese 3-Monats-Koliken nicht heilen, nur mindern. Und auch gegen das Schreien konnte ich bisher nicht wirklich etwas ausrichten - nur ein wenig Balsam auftragen. Wir haben wirklich vieles versucht, doch auch wenn sich die Qualität und auch Quantität des Schreiens nach den ersten dreieinhalb Monaten verändert hat (dazu in einem anderen Blogeintrag mehr), sind wir noch immer recht hilflos. Wir als leidtragende Familie (Mama, Papa und Linus) finden, dass wir jetzt endlich die richtige Hilfe bekommen sollten, und deshalb haben wir uns an die Schreiambulanz gewandt. Unser Kind möchte glücklich sein. Und wir mit ihm, denn dass die Situation der letzten Monate (auch wenn ich sie nur kurz umrissen habe) eine Belastung für Körper und Seele ist, steht außer Frage und können bestimmt nicht nur Eltern anderer "Schreibabys" nachvollziehen. Bevor ich ende, möchte ich unbedingt noch auf die gutgemeinten Ratschläge anderer eingehen. Über das "Lass ihn doch mal schreien und spring nicht immer gleich, du verziehst ihn ja" möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen, weil ich glaube (oder hoffe), dass unsere Generation über diesen Irrglauben hinaus ist. Ich habe mir von verschiedener Seite anhören dürfen, dass mein Kind schreit, weil ich es nicht satt bekomme. Ein Freund vom Papa belatscherte uns ständig (tut es noch, obwohl wir mehrfach etwas dazu gesagt haben), dass wir die Muttermilch mit Cerealien strecken sollten, damit sie Linus schwerer im Magen liegt und dann würde er auch besser schlafen können und nicht mehr so schreien. Mein Stiefvater riet mir immer wieder, es doch mit Säuglingsmilch zu versuchen; Linus würde zwar von meiner Milch alles bekommen, was er braucht, nur würde es nicht reichen, um ihn satt zu machen - kein Wunder, dass er immer so schreit. Meine Schwiegermutter kam eines Tages mit einer Babywaage aus der Apotheke an und forderte mich auf, Linus vor und nach dem Stillen zu wiegen, um zu schauen, ob er auch genug trinkt. Wann immer Menschen auf der Straße oder im Bekannten- und Verwandtenkreis Linus' Schreien hörten, hieß es, er habe sicher Hunger und würde deshalb so viel schreien. Weil ich nach Bedarf stille, hörte ich oft, dass er so viel trinke, weil er nie richtig satt würde. (Kleine Anmerkung von mir: Mein Sohn kam mit viereinhalb Kilo auf die Welt und nahm seitdem kontinuierlich zu, war also nie als Hänfling zu bezeichnen.) Ich möchte hier ganz persönlich etwas dazu sagen, weil mich diese Bemerkungen immer sehr aufgewühlt haben: Ich bin mir sicher, dass ich meinem Kind das Beste gegeben habe, was es bekommen konnte. Ich habe im engen Freundeskreis eine Still- und Laktationsberaterin und angehende Hebamme, die mich, wie meine Wochenbetthebamme, immer gebeten hat, nicht auf solche unqualifizierten Äußerungen zu hören. Ich hatte immer genug Milch (man sieht es am Gedeihen des Kindes - er lag immer gleich auf der Gewichtsskala) und diese allein hat auch gereicht, ohne Zusätze hinzuzugeben oder zuzufüttern. Ich will damit nicht sagen, dass man nie zufüttern muss - es gibt viele Wege, sein Kind zu ernähren, und es ist immer eine individuelle Entscheidung. Aber mein Kind hätte nicht weniger geschrien oder besser geschlafen, wenn es noch mehr oder andere Milch bekommen hätte. Ich beziehe mich hier auf unsere ersten dreieinhalb Monate. Es ist für eine Generation, deren Kinder größtenteils mit der Flasche aufgezogen wurden, immer leicht zu sagen: Deine Muttermilch reicht nicht. Was man im Laden kaufen kann, muss einfach besser sein als das, was der Körper produziert. Viele Menschen kennen die Vorteile von Muttermilch nicht oder nur grob (weil sie sich nie damit auseinander gesetzt haben oder auseinander setzen mussten), und ich schweife vom Thema ab, wenn ich mich hier weiter verstricke (auch wenn ich gerne wollen würde; aber ich habe nicht vor, ein Muttermilch-Pro-und-Contra-Battle zu eröffnen). Ich möchte nur sagen, dass man Schreibabys niemals lapidar unterstellen sollte, sie schreien, weil sie nicht satt werden. Und damit ende ich für dieses Mal.
  3. *** Die ersten dreieinhalb Monate; was war, was wir taten, was uns geraten wurde Die Situation, in die Linus hineingeboren wurde, war wirklich nicht so schön. Nachdem die Geburt ziemlich aus den Fugen geraten war (wer mag, kann ja im Forum unter Kaiserschnitt-Geburten nach meinem Bericht suchen), dümpelten wir in den ersten Tagen mehr oder weniger hilflos vor uns hin. Die Schwestern auf der Notbehelf-Station, auf die ich abschoben wurde, konnten oder wollten nichts Rechtes mit uns anfangen und meine Schmerzmedikation war ein Witz. Nach zweieinhalb Tagen waren wir zuhause (worüber ich einerseits dankbar war, was andererseits aber auch zu früh war, bedenkt man, dass ich eine OP hinter mir hatte) und dann gab es - außer natürlich meinem wunderschönen Baby - für mich eine Weile nur noch Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen. Für jeden Schritt brauchte ich Hilfe - Hilfe beim Ins-Bett-und-wieder-aussteigen, Hilfe beim Anlegen des Babys, Hilfe beim Anziehen. Wie oft ich wütend und voller Schmerzen meine Sachen an die Wand oder durch den Raum gefeuert habe, weiß ich gar nicht mehr. Tagsüber saß ich mit Stillkissen und Baby auf dem Schoß auf der Couch, weil liegen nicht ging. Jeder Gang zur Toilette war eine Herausforderung. Als Linus angefangen hatte zu schreien und nicht mehr allein liegen wollte, musste ich mir diese Gänge verkneifen, bis Schatze von der Arbeit kam, und verbrachte lange Stunden auf der Couch, die Stunden und Minuten zählend, bis ich endlich nicht mehr allein war, immer in Panik, dass das Baby gleich aufwacht und schreit. Es stellte sich heraus, dass sich unter der KS-Naht ein Hämatom gebildet hatte, das Raum forderte und dementsprechend schmerzte und punktiert werden musste. Außerdem hatten die OP-Ärzte meine linke Seite (innen) extrem fest zugenäht, sodass jede Bewegung wie Feuer brannte und ich mehrere Wochen lang nicht aufrecht gehen konnte. Zu allem Überfluss bildete sich auch noch ein Keim in der Naht und meine FÄ spülte sie mit Wasserstoffperoxid aus. (Ob man es glaubt oder nicht - das tat sogar noch mehr weh als die schlimmste Wehe, die ich gehabt hatte.) Doch zurück zum Thema: In den ersten Tagen verhielt sich Linus wie jedes andere Baby auch. Er schlief viel, trank noch mehr, weinte von Zeit zu Zeit, schlief dann wieder und war ganz allgemein das wunderschönste Baby, das ich je gesehen hatte. Als das Schreien begann, sahen wir die Sache zunächst noch gelassen. Jedes Baby schreit mal, stimmt doch. Einige Wochen später sah das Ganze schon ganz anders aus. Unser Leben bestand aus Geschrei. Linus schrie eigentlich immer, wenn er wach war. Während es sich vormittags noch in Grenzen hielt, weil er da viel schlief, ging es am Nachmittag richtig los und dauerte an bis in die Nacht. Linus pupste und schrie. Er machte in die Windel (nix Verstopfung, schöner flüssiger Muttermilchstuhl) und schrie. Man sah ihn an - und er schrie. Man legte ihn für einen Moment ab, weil man dachte, er sei eingeschlafen - und er schrie. Dann pupste er wieder und schrie noch mehr. Es wurde dunkel und er schrie. Wir waren hundemüde - Linus schrie. Manchmal, und das war besonders schlimm für mich - schrie er so sehr, dass er nicht mehr trinken konnte. Ich wusste, er hat Hunger, doch er war so aufgebracht, dass er nicht andocken konnte. (Zu diesem Thema später noch etwas, unter dem Stichwort "Gute Ratschläge" ...) Wenn er gegen elf, zwölf oder eins endlich eingeschlafen war, verlief die Nacht recht ruhig. Ich stillte (und stille bis heute) alle ein bis zwei Stunden; in den ersten Wochen lagen sogar oft vier Stunden dazwischen. Klar, ich leide inzwischen unter chronischem Schlafmangel, verwechsle Wörter oder finde sie gar nicht mehr in meinem Gehirn, scheine ständig etwas zu verlieren (bevorzugt Schlüssel, die dann aber doch wieder auftauchen) und wenn meine Schwiegermutter zu Besuch kommt, mache ich mich in meiner Trotteligkeit mindestens einmal zum Nappel vor ihr. Aber die Nächte waren im Verhältnis zu den Tagen in den ersten Monaten geradezu unspektakulär. (Ausnahmen bestätigen die Regel.) Weiter geht es im zweiten Teil ...
  4. *** Dies ist der unwissenschaftliche und unprofessionelle Erlebnisbericht einer Mama, die sich nach der Geburt ihres Kindes in einer Situation wiederfand, auf die sie nicht vorbereitet gewesen war. Kennt ihr die Dreierregel bei Schreikindern? Wenn dein Kind über drei Wochen an drei Tagen in der Woche drei Stunden schreit, dann hast du ein Schreikind. Ich persönlich gebe auf diese Definition nicht viel. Wenn dein Kind an zweieinhalb Tagen in der Woche für vier Stunden schreit oder in dreieinhalb Wochen an dreifünfzwölftel Tagen und du nicht weißt, wieso, weshalb, warum, dann hast du ein Problem, Regeln hin oder her. Wenn dein Baby brüllt, obwohl es satt ist, obwohl es eine frische Windel hat, obwohl es abgöttisch geliebt wird, obwohl ihm weder zu kalt noch zu warm ist; wenn dein Baby so laut brüllt, dass sein kleines Köpfchen aussieht wie eine dicke rote Tomate, seine Stimme nur noch ein heiseres Winseln ist und du nicht weißt, ob du darüber lachen oder weinen willst (ich habe beides getan, gleichzeitig), dann hast du ein Riesenproblem. Ich nenne dieses Problem "Schreibaby", weil es gemeinhin so bekannt ist und jeder, der diesen Begriff liest, etwas damit anfangen kann. Dennoch bleibt es für mich ein Mysterium, dieses Schreibaby. Und die so wichtige Frage (auf die es tausend und keine Antwort zu geben scheint) lautet: WARUM. (oder von Zeit zu Zeit auch: Warum in Dreiteufelsnamen wir???) Ist mein Kind so ein Schreihals, weil unser geliebtes Katerchen in den Anfängen meiner Schwangerschaft einen vollkommen unerwarteten Unfall in unserem Wohnzimmer hatte, der ihm einen beidseitigen Lungenriss beschert hat, an dem er noch am selben Tag gestorben ist? Ist mein Kind so, weil Papa die Mama über Monate hinweg angeflunkert hat, dass er nicht mehr rauchen würde, während alle außer Mama wussten, dass das nicht stimmt, und als Mama es erfuhr, sie schwangerschaftshormongeplagt und enttäuscht mit dem nächstbesten Reisebus zu ihrer besten Freundin ins Nachbarland floh? Vielleicht ist es auch so, weil ich zu viele Burger in der Schwangerschaft gefuttert hab (wer weiß das schon? Die alles zerstörende Macht der Cheeseburger ist sicher lange noch nicht hinreichend erforscht)? Es könnte natürlich auch an der schweren Geburt liegen, während der wir von einer Hebamme begleitet wurden, die meiner bescheidenen Meinung nach ihren Beruf verfehlt hat, und die letztlich nach Geburtsstillstand in einem Kaiserschnitt endete. Oder an den wochenlang andauernden Komplikationen danach, in der Mama ihr Baby nicht mal wickeln konnte geschweige denn für sich selbst sorgen konnte, weil sie vor Schmerzen nicht wusste, wohin. Zu viele Tränen, die geflossen sind und die Baby irgendwie loswerden, hinausschreien, musste? Warum ein Baby zum Schreibaby wird, ist bis heute nicht hinreichend geklärt. Es kann so viele Gründe geben, und wenn sich einige dieser Gründe zusammenrotten, hat man den Salat. Wahrscheinlich war das auch in unserem Fall so. Bisher hat mir noch niemand eine befriedigende Antwort auf mein "Warum" geben können und wer weiß - vielleicht werde ich diese auch niemals bekommen. Fest steht, dass wir seit sieben Monaten, nämlich seitdem unser kleiner brüllender Rabauke Linus das Licht der Welt erblickt hat, irgendwie damit zurechtkommen müssen. Ich weiß, so wie uns geht es vielen anderen da draußen (auch wenn man das immer nicht so recht glauben mag und sich wahnsinnig allein fühlt, bevorzugterweise in dunklen Nächten, in denen man todmüde sein gepucktes, brüllendes Kind durchs Schlafzimmer trägt und sich fragt, wann die Nachbarn wohl das Jugendamt informieren). Deshalb habe ich diesen Blog eröffnet. Ich habe kein Heilmittel gegen Schreibaby-ismus. Ich kann (und werde) erzählen, was wir versucht haben, um Linus zu helfen. Und wenn ich das hier schreibe, fühle ich mich vielleicht auch nicht mehr so alleine ... In allererster Linie möchte ich dieses(n?) Blog ins Leben rufen, um über unsere Fortschritte zu berichten. Seit gestern bekommen wir Hilfe von der Schreiambulanz, und ich weiß zwar noch nicht, wo diese Reise hingeht, setze aber große Hoffnungen hinein. Denn wenn das jetzt nichts bringt, fürchte ich, bleibt uns nichts anderes mehr. Und dann werde ich vielleicht doch noch irre. (Vielleicht bin ich es auch schon, aber alle Welt versichert mir, dass ich mich wacker schlage, und ich bin geneigt, dem Glauben zu schenken. Ich habe ja das allerwichtigste in mir: Die abgöttische Liebe zu meinem brüllenden Rabauken.)
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