Schreiambulanz
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Erster Hausbesuch
Wir haben schon in den ersten drei Monaten immer mal wieder überlegt, uns Rat bei der Schreiambulanz zu suchen. Ich weiß nicht, woran es immer wieder gescheitert ist. Ich glaube, wir haben uns nicht recht getraut; wollten uns die Blöße nicht geben. Andere Eltern kommen doch auch mit ihrem Baby klar - dann sollten wir es auch schaffen. Ich hatte wohl auch ein bisschen Angst, man würde uns nicht ernst nehmen. Eigentlich blöd - sind doch die Leute, die dort arbeiten, genau für Eltern wie uns da.
Die vergangenen Wochen waren nicht leicht. Linus zum Schlafen zu bringen, ob am Tag oder in der Nacht, war in neun von zehn Fällen eine Tortur für alle drei von uns. Linus schreit wie am Spieß, wenn er hingelegt wird. Er schreit, als würden wir ihm etwas Furchtbares antun, und dieser Kampf zieht sich oft über lange Zeit hin. Ihn einfach nicht hinzulegen, bringt ebensowenig. Wenn er übermüdet ist, wird er - wie jedes Baby - höchst unleidlich. Jeden Tag aufs Neue diese Kämpfe - sie schlauchen wahnsinnig. Man kann ihn nicht ins Bett legen, ohne Angst zu haben, er schreit sich hysterisch. Wenn er so schreit, ist es sehr schwer, ihn wieder runterzuholen. Er zittert am ganzen Körper, sein Kopf ist knallrot, er atmet hektisch und es geht ihm einfach schlecht. Und uns natürlich auch.
Ich stille noch fast voll und habe seit Linus' Geburt immer zwischen zwölf und vierzehn Mal gestillt. In den letzten Wochen waren es nachts fünf, sechs Mal - oft stündlich, eineinhalbstündlich, seltener zweistündlich. Linus braucht mich zum Einschlafen, wenn er nachts nicht einschlafgestillt wird, schreit er sich ein. Ich stille für mein Leben gern, aber meine Reserven sind erschöpft. Ich weiß, dass ich von meinem Rabauken kein Durchschlafen erwarten kann, aber etwas weniger oft zu stillen, würde mich sehr glücklich machen. Ich würde so gern mal wieder vier oder fünf Stunden am Stück schlafen ... Auch das ist ein Grund, aus dem wir uns letztlich doch an die Schreiambulanz gewandt haben.
Ich habe eine E-Mail geschrieben und unsere Situation geschildert und um Hilfe gebeten, und bereits am nächsten Tag hatte ich eine sehr liebe Antwort im Postfach und mir wurde ein Telefonat angeboten, das dann auch am selben Tag noch stattfand. Wir telefonierten sogar noch ein weiteres Mal an diesem Tag, und am Mittwoch dann war es soweit: Katja (ich hab den Namen aus Datenschutzgründen geändert) kam uns besuchen.
Wir haben unsere Erwartungen an diesen Besuch und an die nächste Zeit ganz offen gehalten. Die Informationen, die ich vorab über die Herangehensweise der Schreiambulanz-Therapeuten bekommen habe, waren für mich etwas diffus und ich konnte mir nicht so recht etwas darunter vorstellen.
Katja ist eine wahnsinnig nette Frau in den Fünfzigern, ziemlich alternativ angehaucht (alles andere hätte mich auch überrascht) und hat, laut ihrer Aussage, schon sehr viel Erfahrung mit sehr vielen Schreikindern gemacht.
Wir haben zuerst über die Geburt gesprochen und Katja hat sich auch ganz ernsthaft mit Linus unterhalten und sich ihm ganz allmählich angenähert. Sie arbeitet darauf hin, ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufzubauen, um ihn massieren und seine Verspannungen lösen zu können. Auch die Eltern können massiert werden, wenn sie wollen. Im Grunde geht es um eine ganzheitliche Entspannung, um ein Wiederfinden zu sich selbst und seiner inneren Ruhe. Wir haben auch darüber gesprochen, wie wir uns gerade in unserer Situation fühlen. Weit sind wir noch nicht gekommen, aber Katja hat uns versichert, auch wenn man nicht sieht, was sie tut, am Ende hilft es, und dass sie noch nie einen hoffnungslosen Fall hatte.
Sie wird uns in den nächsten Wochen begleiten, der nächste Termin ist am Mittwoch. Man kann sie Tag und Nacht anrufen, wenn man sie braucht.
Den alternativen Weg zu gehen ist immer mit viel Glauben verbunden. Wo die Schulmedizin nicht weiter weiß, ist der alternative Weg eine weitere Hoffnung. Ich habe in einem früheren Post gesagt, ich wüsste noch nicht, wohin die Reise gehe. Aber ich bin bereit, es herauszufinden.
Alles, was ich weiß, ist, dass ich Linus seit Katjas Besuch nachts viel weniger in den Schlaf stillen musste als vorher. Er hat in jeder Nacht seit ihrem Besuch wenigstens eine Schlafphase von ca. drei, manchmal sogar mehr Stunden gehabt. Das gab es hier seit Monaten nicht mehr. (!!!)
Unser Leben hat sich nicht grundlegend verändert (das erwarten wir auch nicht), aber es gibt spürbare kleine Veränderungen. Keine Ahnung, woran es liegt. Ist vielleicht alles Zufall.
Vielleicht aber auch nicht. Die Zeit wird es zeigen.
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