Zum Inhalt springen

Plötzlicher Kindstod - nur nachts möglich?

Dieses Thema bewerten


Empfohlene Beiträge

Geschrieben

Nochmal was von Oekotest zur "Untersuchung" der Uni Dresden. Zwar recht lang, aber lohnt sich wirklich zu lesen!

Dubioser Test

Ein Test, vom Vertreiber des Testsiegers bezahlt, eine ungeeignete Testmethode, ein Professor, der nicht versteht, was gemessen wurde, Journalisten, die nicht nachfragen: Fertig ist der vermeintliche Skandal. Trotzdem sind wir mit einer Klage gegen das Machwerk gescheitert.

"Öko-Matratzen können plötzlichen Kindstod verursachen", titelte Spiegel Online. Fast jede Zeitung, jeder Radio- und Fernsehsender verbreitete in den folgenden Tagen diese alarmierende Nachricht. Bei den Eltern von Babys und Kleinkindern löste sie teilweise panische Reaktionen aus.

Die Nachricht ging zurück auf eine Untersuchung der TU Dresden und eine Pressemitteilung des Vereins Babyhilfe Deutschland. Vorsitzender: Prof. Dr. Ekkehardt Paditz. Darin hieß es:

"Kinderschlaflabor der Uniklinik Dresden weist gefährlichen CO2- und Wärmestau auf geprüfter Öko-Babymatratze nach. (...) Eine mit dem Siegel ÖKO-TEST "sehr gut" ausgezeichnete Baumwoll-Kokos-Babymatratze führte unter Laborbedingungen zum CO2- und Wärmestau: Anders als durch die Produktbeschreibung und das Testsiegel erwartet werden könnte, konnten nur 20 % des auf der Matratze ausgeatmeten CO2 unter der Matratze wieder nachgewiesen werden. (...) Durch eine handelsübliche Schaumstoffmatratze für Babys diffundierten immerhin 46 % des ausgeatmeten CO2, mehr als doppelt so viel wie bei der Öko-Matratze. Das beste Ergebnis im Test erzielte eine neuartige Babymatratze mit einer Wabenstruktur aus Polyurethan, die als US-Import in Deutschland erhältlich ist. Diese Matratze ließ 92 % des ausgeatmeten CO2 durchsickern."

Im Zusammenhang mit Fragen zum genauen Ablauf des Tests wollte ÖKO-TEST von der Babyhilfe auch wissen, wer den Test bezahlt hatte. Das hätten auch die scheinbar vorab informierten Kollegen von Spiegel Online fragen müssen. Doch sie taten es anscheinend nicht. So nahm der "Skandal" seinen Lauf.

Stück für Stück kommt die Wahrheit ans Licht

Eine Antwort auf unsere Fragen erhielten wir bis heute nicht. Trotzdem kam die Finanzierung ans Licht - aufgrund von Nachforschungen des Qualitätsverbandes für umweltverträgliche Latexmatratzen (QUL). Gegenüber dem Anwalt des Verbandes, Joachim Amann, bestätigte der Vertreiber der Siegermatratze, dass er für den Test eine fünfstellige Summe bezahlt hatte. Genau waren es 21.500 Euro, wie sich aus einem Vertrag zwischen der TU Dresden und der Firma t-rv Technik & Reha Vertriebs GmbH in Karlsruhe hervorgeht.

Den Vertrag haben die Anwälte von Paditz in einem Prozess vorgelegt, den der QUL angestrengt hat. Er soll zeigen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist und Paditz selbst kein Geld bekommen hat. Aus dem Vertrag geht aber vor allem hervor: Die Firma t-rv hat nicht nur den Test bezahlt und die Siegermatratze geliefert, sondern auch noch die beiden Vergleichsmatratzen zur Verfügung gestellt. Nachdem wir das bemängelt hatten, hieß es plötzlich, Paditz habe die Vergleichsmatratzen selbst ausgesucht und gekauft.

Dass Paditz um die Problematik der Bezahlung des Tests durch die Firma t-rv wusste, zeigt ein weiteres Detail. Der Vertrag regelt, dass "in Veröffentlichungen der TUD (TU Dresden) auf die Finanzierung dieses Vorhabens durch den AG (die Firma t-rv) hinzuweisen" ist. Doch das wurde in den Veröffentlichungen konsequent verschwiegen.

Fazit

Die Rechtsprechung fordert, dass Tests neutral durchgeführt werden. Doch ein Test ist nicht neutral, wenn der Vertreiber der Siegermatratze ihn bezahlt und gleichzeitig die Vergleichsprodukte aussucht und kostenlos zur Verfügung stellt.

Eine glatte Lüge

Das allein spricht noch nicht für ein unkorrektes Untersuchungsergebnis. Doch es gibt weitere Unstimmigkeiten. So behaupten Paditz bzw. die Babyhilfe, der Test sei "mit einer lebensgroßen Babypuppe - unter streng kontrollierten Bedingungen mit Präzisionsmessgeräten" durchgeführt worden. Eine glatte Lüge. Tatsächlich wurde wegen messtechnischer Schwierigkeiten keine Babypuppe verwendet, sondern ein "Gasauslassschlauch (...) zwischen zwei definiert temperierten und ausgewogenen Wärmeflaschen durch textile Träger fixiert", so die Anwälte von Paditz in einem Schreiben an das Gericht.

Öko-Matratze tatsächlich am besten

Darüber hinaus sind der Testablauf und -aufbau selbst problematisch. Auch wenn Paditz bis heute die genauen Daten noch nicht öffentlich gemacht hat, steht fest: Die CO2-Konzentration wurde unter der Matratze gemessen. Genau dort, wo auf der Matratze die Nase des Babys - in Bauchlage schlafend - liegen sollte. Damit war das Ergebnis des Tests von vornherein klar. Die Bienenwabenstruktur der Siegermatratze könnte wie eine Röhre wirken. Was man oben hineinbläst, kommt unten raus. Dagegen verteilt sich das CO2 in der vergleichsweise untersuchten Schaumstoff- und der Öko-Matratze und tritt an vielen Stellen aus. Nicht nur direkt unterhalb der Nase des Babys.

Somit ist die Schlussfolgerung falsch, die Paditz aus den gemessenen CO2-Werten unterhalb der Matratzen zieht. Die geringeren CO2-Konzentrationen unter der Schaumstoff- und der Öko-Matratze sind nicht einmal ein Hinweis auf den von Paditz behaupteten CO2-Stau. Es ist im Gegenteil von Vorteil, dass sich das CO2 verteilt. So besteht keine Gefahr der Rückatmung - und damit ebenso wenig die Gefahr, dass Öko-Matratzen den plötzlichen Kindstod auslösen oder sogar verursachen können.

Zu dem gleichen Ergebnis kommt Dr. Bernd Maciej von der Landesgewerbeanstalt Nürnberg. Er schreibt in einem Gutachten zu dem Test: "Unserer Meinung nach ist es deshalb unzulässig, aus diesen Messungen Rückschlüsse über die Anreicherung von CO2 im Atemtrakt abzuleiten."

Fazit

Die Rechtsprechung verlangt, dass ein Test sachkundig durchgeführt wird. Doch Sachkunde ist bei diesem Test nicht zu entdecken. Die Beschreibung des Testaufbaus ist teilweise falsch, weil keine Babypuppe verwendet wurde. Die gemessenen Daten wurden falsch interpretiert. Die Öko-Matratze ist der tatsächliche Testsieger, denn es ist von Vorteil, dass sich das ausgeatmete CO2 in der Matratze verteilt und somit für die Rückatmung nicht mehr zur Verfügung steht.

ÖKO-TEST hat dem Pressesprecher der Babyhilfe bereits kurz nach der Veröffentlichung des Tests geschrieben, dass es sich unserer Meinung nach um eine kühl geplante PR-Aktion handelt. Wir dachten damals, es ginge nur um Publicity für die Babyhilfe bzw. für Paditz. Dass es zudem eine PR-Aktion für den Vertreiber der Siegermatratze sein könnte - der seit dem Tag der Veröffentlichung des "Tests" auf seiner Internetseite mit dem Ergebnis wirbt - ist uns und auch den Kollegen von allen anderen Medien gar nicht in den Sinn gekommen.

Wir kannten aber auch den Vertrag zwischen t-rv und der TU Dresden nicht, in dem der Zweck der ganzen Aktion unverblümt beschrieben ist: "Der AG (t-rv) ist an der Nutzung dieser Kenntnisse sehr interessiert", heißt es da. Und weiter: "Durch den messtechnischen Nachweis erhält das Produkt gute Chancen für eine problemlose, europaweite Markteinführung."

Nachdem wir diese Zusammenhänge aufgedeckt hatten, versuchten wir mit einer Klage vor einer Zivilkammer des Landgerichts München - die Pressekammer war in diesem Fall leider nicht zuständig - die wichtigsten Aussagen des Machwerks verbieten zu lassen. Wir beantragten, Paditz und der Verein Schlafmedizin Sachsen sollten nicht mehr behaupten,

dass im Schlaflabor der Universität mittels einer lebensgroßen Babypuppe eine mit dem Siegel ÖKO-TEST "sehr gut" ausgezeichnete Kokos-Baumwoll-Babymatratze, eine handelsübliche Schaumstoffmatratze für Babys und eine neuartige Babymatratze mit einer Wabenstruktur aus Polyuretan untersucht worden sei (weil gar keine Babypuppe benutzt wurde);

dass im Schlaflabor mittels einer lebensgroßen Babypuppe eine mit dem Siegel ÖKO-TEST "sehr gut" ausgezeichnete Kokos-Baumwoll-Babymatratze untersucht und dabei ein CO2-Stau festgestellt worden sei (weil das mit der angewandeten Untersuchungsmethode gar nicht festzustellen war);

dass anders als durch die Produktionsbeschreibung und das Testsiegel erwartet werden könnte, nur 20 % des auf der Matratze ausgeatmeten CO2 unter der Matratze wieder nachgewiesen werden konnten (weil Paditz gar nicht gemessen hatte, wie viel unter der Matratze herauskam),

und mit diesen Behauptungen den Eindruck erwecken, die Verwendung der Kokos-Baumwoll-Babymatratze erhöhe signifikant das Risiko des plötzlichen Kindstods.

Doch das Gericht wies unsere Klage ab. Die Freiheit der Wissenschaft erlaube es jedem, sich lächerlich zu machen und zu behaupten, die Sonne drehe sich um die Erde, so der Richter in der mündlichen Verhandlung. Das ganze Machwerk sei lediglich eine Meinungsäußerung, mögliche Fehler und die Lüge über die Verwendung der Babypuppe würden die "Geschäftsehre" von ÖKO-TEST nicht verletzen. Das Wort Lüge hat das Gericht übrigens nicht verwendet, sondern von einer möglichen "Fehlinformation" gesprochen.

Würden die gleichen Maßstäbe an unsere Tests angelegt, wären wir völlig unangreifbar, wir könnten selbst falsche Testergebnisse gefahrlos veröffentlichen. Andererseits würden wir dann in der Bedeutungslosigkeit versinken, weil sich niemand mehr auf unsere Testergebnisse verlassen könnte.

Dass Paditz´ inkompetente Meinungsäußerung keinerlei Bedeutung beigemessen wird, zeigt übrigens auch der neueste Kindermatratzentest der Stiftung Warentest. Sie hat die CO2-Durchlässigkeit nicht einmal gemessen und kommentiert: "Fest steht, das die Wahl der Matratze nicht der wichtigste Aspekt zur Vorbeugung (des plötzlichen Kindstods) ist."

Der Link dazu: http://www.oekotest.de/cgi/nm/nm.cgi?doc=proz-matratz

  • Antworten 50
  • Erstellt
  • Letzte Antwort

Top-Benutzer in diesem Thema

Dein Kommentar

Du kannst jetzt schreiben und Dich später registrieren. Wenn Du ein Konto hast, melde Dich jetzt an, um unter Deinem Benutzernamen zu schreiben.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

  • Wer ist Online   0 Benutzer

    • Keine registrierten Benutzer online.

  • Seit 1997 helfen wir den Müttern,

    ❤️ Hallo ❤️

    Es scheint, dass Dir unser Forum gefällt, aber du bist noch nicht angemeldet.

    Wenn du ein Konto eröffnest merken wir uns deinen Lesefortschritt und bringen dich dorthin zurück. Zudem können wir dich per E-Mail über neue Beiträge informieren, falls Du es willst. Dadurch verpasst du nichts mehr. Du wirst merken, dass die Diskussionen hier viel tiefer gehen und Du längere Beiträge zu einem Thema lesen kannst. Auch kommst Du in verschlossene Bereiche rein und kannst die Clubs besuchen. Diese Themen verschwinden auch nicht und DU entscheidest, was Du lesen willst und kein Algorithmus.

    Falls Du übrigens keine Email von uns bekommst, schau im Spam Bereich nach oder nimm Kontakt mit uns über das Kontaktformular auf.
    Es kann 24h dauern bis wir dich freischalten. Du musst Deine Email bestätigen, sonst dürfen wir Dich nicht in das Forum lassen.

    Wenn Du schon ein Benutzerkonto hast, melde Dich bitte mit Deiner Email an, um mit Deinem Konto zu schreiben und echte Freundinnen zu finden.

  • Diese Seite empfehlen

    Dir gefällt Adeba - Dein Familienforum? Empfehle die Seite weiter!
×
×
  • Neu erstellen...

Wichtige Information

Wir haben Cookies auf Deinem Gerät platziert. Das hilft uns diese Webseite zu verbessern. Du kannst die Cookie-Einstellungen anpassen, andernfalls gehen wir davon aus, dass Du damit einverstanden bist, weiterzumachen.