Entkommen unmöglich
Gestern Abend war es dann soweit. Papa und ich hatten ausgemacht (nein, eher hatte ich knallhart beschlossen und mich nicht davon abbringen lassen, auch nicht durch Papas Angst, dass er es nicht schaffen würde alleine), dass ich die Nacht im Wohnzimmer verbringen würde. Vielleicht würde mir der zusätzliche Schlaf, den ich hoffentlich dadurch abgreifen würde, den so nötigen Energiekick geben. Natürlich versicherte ich, dass ich, würde Linus nachts zu hysterisch werden, auf jeden Fall kommen und helfen würde.
Meine Matratze lag einladend auf dem Boden, um halb elf hatte ich Linus noch einmal gestillt und der ersten erholsamen Nacht nach nunmehr über einem Jahr stand nichts im Weg.
Um kurz vor halb zwölf fing Linus plötzlich an zu schreien. Ich hatte gerade das Buch zugeklappt und mich hingelegt. Während ich auf die Uhr sah, nahm ich mir vor, fünf Minuten abzuwarten, ob Papa es allein schaffen würde.
Das klingt doch ganz vernünftig, oder? Und fünf Minuten sind ja auch nicht die Welt, die vergehen im Nu!
Linus schrie immer kläglicher und keine halbe Minute später stand ich im Schlafzimmer ... Ich war vollkommen aufgelöst, mein Herz klopfte mir bis zum Hals und ich hatte, glaube ich, eine Art Panikattacke. Ich sagte, ich könnte das nicht, und legte mich zu Linus, um ihn zu stillen. Und während ich das tat, wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich gefangen bin. Das sagte ich auch. Ich bin gefangen. Es liegt nicht nur an Linus. Es liegt auch an mir. Ich kann mein Baby nicht allein lassen und ich kann es nicht ertragen, ihn schreien zu lassen und nichts zu tun.
(Ich wäre eine grottenschlechte Kandidatin fürs Ferbern; zum Glück sind Papa und ich uns da einig, dass dieser Weg nie etwas für uns wäre.)
Und dann fing ich aus dem Nichts heraus zu heulen an. Und konnte gar nicht mehr aufhören. Weil mir klar wurde, dass diese Nächte so weitergehen werden und ich da irgendwie durch muss, ob ich will oder nicht.
Linus wurde beim Stillen natürlich sofort ruhig, durch mein hysterisches Geheule konnte er aber nicht sofort wieder einschlafen und auch die Nacht war die unruhigste seit Langem (was aber auch daran lag, dass er seine erste Erkältung ausbrütet).
Papa hat mich in den Arm genommen und getröstet, und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich wieder beruhigen konnte ... ich weiß nicht, wo das plötzlich herkam, aber es hat mir ziemliche Angst gemacht, vor allem, weil ich einfach nicht aufhören konnte, auf diese Art zu weinen.
Ich sagte dann, dass ich wieder zurückkommen wolle und Papa holte meine Matratze aus dem Wohnzimmer und brachte die andere Matratze raus und als wir zusammen lagen, Linus (zwar unruhig) eingeschlafen war und ich mich beruhigt hatte, war ich sehr froh, wieder bei meinen Lieben zu sein.
Und was habe ich aus der Aktion gelernt?
Ich bin wohl auch zum Teil selbst Schuld an meiner Situation. Theoretisch wäre es ein Leichtes gewesen, ein paar Minuten abzuwarten, und vielleicht wäre Linus auch ohne mich wieder eingeschlafen, man weiß es nicht. Aber meine Sehnsucht? mein Gewissen? meine Schwäche? waren stärker als ich und das heißt, ich muss mir etwas anderes einfallen lassen.
Ich muss zu meiner Überraschung sagen, dass es mir heute trotz Müdigkeit und der letzten Nacht ganz gut ging. Ich bin mit dem, was ich zu tun habe, gut vorangekommen und irgendwie nicht mehr so deprimiert wie sonst manchmal.
Ich schätze, das Heulen hat mir gutgetan.
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